Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
nicht bedeuten, die Marktwirtschaft wäre der Tod der Innovation oder der wirtschaftliche Wettbewerb würde keine nützlichen neuen Produkte hervorbringen. Immerhin tummeln sich im zweiten Quadranten jede Menge guter Ideen, die unser Leben zum Besseren verändert haben. Bürokratie ist und bleibtein Hemmschuh für Innovation, doch zum Glück geht es auch gar nicht darum, uns zwischen dezentralen Märkten und staatlich gesteuerter Wirtschaft zu entscheiden. Ein großer Teil der geistigen Errungenschaften der letzten beiden Jahrhunderte erblühte in dem Freiraum zwischen diesen beiden Wirtschaftsformen: in Absolventenseminaren und Kaffeehäusern, in den Labors von Hobbytüftlern und an digitalen Pinnwänden. Der vierte Quadrant erinnert uns daran, dass es mehr als nur eine Formel für Innovation gibt. Wir haben die Wunder des modernen Lebens nicht nur dem wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen konkurrierenden Firmen zu verdanken, sondern auch den offenen Netzwerken.
Ein paar Monate nach Veröffentlichung von
Entstehung der Arten
im Jahr 1859 schilderte Karl Marx Friedrich Engels in einem Brief, wie sehr ihm Darwins wissenschaftlicher Radikalismus gefiel: »Auch wenn es im etwas nachlässigen, typisch englischen Stil verfasst ist, dieses Buch enthält die naturkundliche Grundlage unserer Sichtweise.« Mit »nachlässig« war Darwins Weigerung gemeint, die von ihm entwickelten Theorien auf die klassische hegelianische Dialektik zu stützen. Heutzutage gilt jedoch gerade dieses Merkmal vielen als eine der Stärken von Darwins Schriften. Trotz kleiner Vorbehalte sahen Marx und Engels in der Kontroverse, die Darwin ausgelöst hatte, eine Bestätigung ihrer Arbeit und betrachteten Darwin als eine Art geistigen Verbündeten in einem Zeitalter, das kurz vor revolutionären (gesellschaftlichen wie wissenschaftlichen) Umwälzungen stand.
Ob Darwin bezüglich seiner beiden Bewunderer ähnliche Gefühle hegte, ist unklar. Marx bot an, ihm den zweiten Band von
Das Kapital
zu widmen, doch Darwin hatte Bedenken: »Ich würde es vorziehen, wenn das Buch nicht mir gewidmet wäre (auch wenn ich Ihnen für die Ehrerweisung danken möchte), denn das würdezu einem gewissen Grad implizieren, dass ich das gesamte Werk befürworte, mit dessen Inhalt ich jedoch nicht vertraut bin.«
Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, taten Marx und Engels Recht daran, sich in der Debatte um Darwins »gefährliche« Ideen auf dessen Seite zu stellen. Doch mit ihren Vorhersagen, wie sich Darwins Theorie auf den politisch-ökonomischen Diskurs auswirken würde, lagen sie vollkommen falsch. Dass Parallelen gezogen würden zwischen Darwins »Survival of the Fittest« und der Wettbewerbsselektion auf den freien Märkten, sagten sie korrekt voraus. Doch sie erwarteten, die Analogie würde als Kritik am Kapitalismus angeführt werden. 1865 schrieb Engels an einen Freund: »Nichts diskreditiert die bourgeoise Gesellschaft von heute mehr als die Tatsache, dass sie es immer noch nicht geschafft hat, die ökonomischen Prinzipien der Tierwelt hinter sich zu lassen.«
Doch wie sich herausstellte, trat das genaue Gegenteil ein. Im 20. Jahrhundert wurden Darwins Theorien unzählige Male zur Verteidigung der freien Marktwirtschaft angeführt. Der Vergleich mit der Tierwelt diskreditierte die Märkte nicht, wie Engels vorausgesagt hatte. Er ließ sie natürlicher erscheinen. Wenn Mutter Natur diese unglaubliche Vielfalt durch rücksichtslosen Wettbewerb zwischen egoistischen Akteuren erschaffen konnte, warum sollte unser Wirtschaftssystem dann nicht denselben Regeln gehorchen?
Doch selbst in der Natur gibt es noch mehr als nur rücksichtslosen Wettbewerb zwischen egoistischen Akteuren, wie Darwin feststellte.
Die Entstehung der Arten
endet mit einer berühmten Passage, die den Zeilen ähnelt, die Darwin mehr als 20 Jahre zuvor in sein Tagebuch schrieb, als er die Kokosinseln verließ:
»Es ist faszinierend, ein Ufergestrüpp zu betrachten, die zahllosen Pflanzen unterschiedlichster Art, die Vögel, die in den Gebüschen zwitschern, die umherfliegenden Insekten, die Würmer, die aus derfeuchten Erde kriechen, und darüber nachzudenken, wie diese aufs Geschickteste konstruierten Formen, so verschieden und gleichzeitig auf so komplexe Weise voneinander abhängig, alle durch Gesetzmäßigkeiten entstanden sind, die um uns herum wirken ... So folgt als direkte Konsequenz aus dem Krieg in der Natur, aus Hunger und Tod, das herrlichste aller Dinge, das wir uns nur
Weitere Kostenlose Bücher