Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
Verknappung und Hemmschuhe im Informationsnetzwerk auskommt. Eine Historikerin, die eine brillante Theorie über die Entstehung der industriellen Revolution entwickelt, kann aufgrund dieser Theorie eine Professur an einer Elite-Universität bekommen, und trotzdem kann die Idee sich ungehindert weiterverbreiten, überprüft, erweitert, exaptiert und auf zahllose Arten recycelt werden. Auf der einen Seite mag mit dem universitären System viel Geld verdient werden, und auf einigen speziellen Gebieten geht es auch um Patentrecht, aber die meisten Ergebnisse universitärer Forschung sind Allgemeingut.
Landläufig gelten Universitäten als Elfenbeintürme, isoliert vom »echten Leben«, doch ist unbestreitbar, dass die meisten Durchbrüche in Wissenschaft und Technik des letzten Jahrhunderts auf universitäre Forschungsprojekte zurückgehen. Wenn es um »reine« Wissenschaft wie theoretische Physik geht, wird das auch niemand bestreiten, doch trifft diese Aussage auch auf andere Projekte zu, dieauf den ersten Blick eher kommerzieller Natur zu sein scheinen. Die Antibabypille beispielsweise brachte den Pharmariesen Milliarden ein, aber der größte Teil der Forschung, die ihre Entwicklung erst ermöglichte, fand auf intellektuellem Gemeingrund, nämlich in den Universitätslaboren von Harvard, Princeton und Stanford statt. In der Nomenklatur des letzten Kapitels heißt das: Offene, akademische Forschungsnetzwerke schaffen nicht selten emergente Plattformen, die eine kommerzielle Weiterentwicklung möglich machen. Im nächsten Jahrzehnt wird wahrscheinlich eine ganze Welle von gentechnisch erzeugten Medikamenten auf den Markt kommen, aber die zugrunde liegende wissenschaftliche Plattform – allen voran die DNA-Sequenzierung – wurde fast ausschließlich von einer dezentralen Gruppe von Wissenschaftlern entwickelt, die in den 1960er und 70er Jahren außerhalb des privaten Sektors arbeiteten. Dieses Muster sehen wir immer wieder: Innovation aus dem vierten Quadranten schafft neue Plattformen, auf denen marktorientierte Unternehmen aufbauen können, indem sie die Ursprungsidee entweder leicht abwandeln oder eine weitere Innovation auf die darunterliegende Plattform aufsetzen.
Die Innovationskraft des vierten Quadranten wurde von einer weiteren wichtigen Entwicklung entscheidend unterstützt: dem immer stärker werdenden Informationsfluss. Informations-Spillover braucht dicht besiedelte Zentren, wie sie sich während der Renaissance bildeten. Das während der Aufklärung entstandene Postwesen machte erstmals größere kreative Netzwerke möglich. Durch das Internet sind Kosten und Aufwand, mit denen sich gute Ideen verbreiten lassen, praktisch auf null gesunken. Zu Galileis Zeiten war Informations-Spillover ein genauso mächtiges Innovationswerkzeug wie heute, aber es war weit schwieriger, flüssige Netzwerke zu errichten, in denen Serendipität und Exaptation möglichwurde. Die Vernetztheit des modernen Lebens stellt uns vor das gegenteilige Problem. Information verbreitet sich in Windeseile. Informations-Spillover zu verhindern ist eine Mammutaufgabe. Als Konsequenz müssen Firmen, deren Geschäftsmodell darauf beruht, ihre Ideen zu schützen, viel Zeit und Geld investieren, um ihr kostbares Ideengut durch entsprechende Schutzmaßnahmen künstlich zu verknappen. Im vierten Quadranten fallen solche Kosten nicht an. Wer dort tätig ist, kann sich voll und ganz darauf konzentrieren, neue Ideen zu entwickeln statt Mauern um die alten zu errichten. Und weil diese Ideen ungehindert durch die Infosphäre zirkulieren, können andere im Netzwerk sie erweitern und verfeinern.
Wir haben noch kein politisches Vokabular für den vierten Quadranten, vor allem nicht für die nicht institutionellen Formen der Zusammenarbeit, die sich um die Open-Source-Community entwickelt haben. Weil diese offenen Systeme sich außerhalb des kapitalistischen Belohnungssystems entwickelt haben und ohne die Beschränkungen auskommen, die geistiges Eigentum mit sich bringt, sind wir automatisch versucht, sie als »sozialistisch« einzustufen. In Wirklichkeit sind sie aber genauso weit von staatlich gelenkter Planwirtschaft entfernt wie vom Kapitalismus. Sie funktionieren zwar ohne Marktanreize, schaffen aber oft Umgebungen, in denen kommerzielle Unternehmen gedeihen. Lawrence Lessig bezeichnet dieses Phänomen als »Hybrid-Ökonomie«, in der die Eigenschaften offener Netzwerke mit denen des proprietären privaten Sektors vermischt sind.
All das soll
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