Wo gute Ideen herkommen.: Eine kurze Geschichte der Innovation. (German Edition)
erdenken können, nämlich die Entstehung höherer Tiere. Es liegt etwas Erhabenes in dieser Sichtweise...«
Diese Zeilen kreisen um zwei Metaphern, die sich durch Darwins gesamtes Werk ziehen: um die komplexen wechselseitigen Abhängigkeiten in einem Lebensraum (dem Ufergestrüpp) und den Krieg in der Natur; um die symbiotischen Beziehungen in einem Ökosystem und das Überleben der Bestangepassten. Oft wird in einer Verzerrung von Darwins Theorie der Wettbewerb zwischen den Individuen überbetont. Dabei spielen Zusammenarbeit und Zusammenhalt in der Natur eine mindestens ebenso wichtige Rolle.
Auch unser Blick auf kulturelle Innovation ist verzerrt. Betrachten wir die letzten fünf Jahrhunderte aus der Distanz, springt eines sofort ins Auge: Der marktorientierte Wettbewerb hat kein Monopol auf Innovation. Wettbewerb und Profit motivieren uns, aus guten Ideen gewinnbringende Produkte zu machen, aber in den meisten Fällen entspringen die Ideen selbst einer anderen Motivation. Was Erkenntnis und Kreativität betrifft, leistet der vierte Quadrant Außergewöhnliches. Auch ohne die durch künstliche Verknappung geschaffenen finanziellen Anreize spielt er eine ganz entscheidende Rolle, wenn es darum geht, gute Ideen zu fördern und in Umlauf zu bringen – heute mehr denn je. Oder, um mit Darwin zu sprechen: Die wechselseitigen Abhängigkeiten in einem Ufergestrüpp sind genauso produktiv wie der Krieg in der Natur.Stephen Jay Gould drückt genau dies mit seiner Sandalenallegorie aus: »Seit Darwin ist der Wettbewerb das Argument für Fortschritt schlechthin«, schreibt er. »Doch würde ich behaupten, dass unvorhersehbares und oft skurriles Umfunktionieren (das Reifen-zu-Sandalen-Prinzip) die Hauptquelle dessen ist, was wir Fortschritt nennen.« Ein Sandalenverkäufer in Nairobi mag in der Tat im Wettbewerb mit anderen stehen. Doch was sein Geschäftsmodell erst ermöglicht, sind zum einen die alten Reifen, die darauf warten, zu Schuhwerk umfunktioniert zu werden, vor allem aber die Tatsache, dass die Idee, aus Reifen Sandalen herzustellen, allein durch Beobachten auf andere überspringen kann. Ohne Lizenzvertrag, der den Ideenfluss einschränkt.
Im Jahr 1813 fand der Bostoner Mühlenbesitzer Isaac McPherson sich inmitten eines langen und unerfreulichen Rechtsstreits mit dem Erfinder Oliver Evans aus Philadelphia wieder, der ein paar Jahre zuvor eine automatische Getreidemühle zum Patent angemeldet hatte. Es gab nur eines, das an Evans’ Erfindungsgabe heranreichte: seine Prozesssucht. Er war bekannt dafür, den Schutz seiner Patente aggressiv zu verfolgen, und er gehörte zu den Ersten, die die Möglichkeiten des im Jahr 1790 verabschiedeten Patentgesetzes voll ausschöpften. Wie originär Evans Erfindung war, war höchst fraglich. Seine automatische Mühle arbeitete mit Gurtbecherwerken, Transportbändern und archimedischen Schrauben – mit Dingen also, die seit Langem Allgemeingut waren. Als Evans McPherson verklagte, beschloss der Müller aus Boston, sich an den ersten Patentrechtsbeauftragten der USA zu wenden, der früher selbst Politiker und Erfinder gewesen war und jetzt in Virginia lebte. Also schrieb McPherson im Sommer 1813 einen Brief an Thomas Jefferson und fragte ihn, was er von den von Evans erhobenen Ansprüchen hielt.
Jefferson antwortete am 13. August. Wenn man den Brief heuteliest, kann man gar nicht anders, als Jeffersons umfassendes Wissen und seine Brillanz zu bewundern. Zuerst konzentriert er sich auf kleinste technische Details in Evans Patent, dann erweitert er seinen Blick und geht auf die Vorgeschichte der Mühlentechnik ein. »Die archimedische Schraube ist mindestens so alt wie der vor 2000 Jahren verstorbene Mathematiker selbst. Diodor erwähnt sie, vgl. S. 21 und S. 217 der Stevens Ausgabe von 1559, und Vitruv, xii.« Danach untersucht er das betreffende Gesetz mit dem scharfen Blick des Rechtsgelehrten und nennt die Teile, die er für fehlerhaft hält. Doch die mitreißendsten Passagen sind die, in denen Jefferson über die Natur der Ideen philosophiert:
»Das Recht auf Eigentum ist ein Geschenk des Sozialrechts, und es wurde erst zu einem sehr späten Zeitpunkt der gesellschaftlichen Entwicklung gewährt. Deshalb wäre es seltsam, eine Idee, jene flüchtige Ausgeburt eines einzelnen Geistes, gleichsam naturgegeben als exklusives Eigentum zu betrachten. Wenn die Natur irgendetwas geschaffen hat, das exklusivem Eigentumsrecht direkt entgegensteht, dann jene Geisteshandlung, die
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