Wo immer Du bist, Darling
Hände.
*
Carolin ging besorgt ins Bad, weil plötzlich keinerlei Geräusch mehr aus dem Raum drang.
Sie entdeckte Anja still weinend auf den Boden gekauert, die Finger so fest um die Schnitzerei geschlungen, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Vorsichtig setzte sie sich mit dem Rücken zur Badewanne neben sie und strich ihr über den Rücken. »Ich habe damals auch oft geweint«, sagte sie in Gedanken an ihre traumatische Ehe. »Aber du wirst sehen, die Zeit heilt alle Wunden, auch diese. Irgendwann.«
Anja legte den Kopf auf Carolins Beine, ließ die Figur aber nicht los.
Sie saßen noch da, als die Dämmerung bereits hereinbrach. Dann endlich konnte Carolin ihre Freundin zu einem Tee bewegen.
In dieser Nacht schlief Anja nur deshalb, weil sie ihr heimlich eine Baldriantablette im Tee aufgelöst hatte. Schon allein die Tatsache, dass ihrer Freundin der seltsame Geschmack des Getränks nicht einmal aufgefallen war, rechtfertigte diese Tat.
Bevor Anja am nächsten Tag aufstand, hatte sich Carolin schon um die Wäsche gekümmert. Sie hatte die Kleider im Schrank verstaut und Ramons Hemd so weit unten einsortiert, dass es ihr nicht direkt wieder ins Auge sprang.
*
Weil durch Carolins Hilfe nichts anderes mehr übrig blieb, was sie noch hätte erledigen können, leerte Anja im Bad den Kosmetikbeutel aus. Langsam stellte sie die Artikel an die angestammten Plätze im Spiegelschrank. Ihr Blick streifte eine Schachtel Tampons, die vergessen im obersten Fach ruhte.
Mit gerunzelter Stirn nahm sie eines der Wattepäckchen heraus und drehte es nachdenklich hin und her. Wann hatte sie eigentlich ihre letzte Periode gehabt?
Sie konnte sich nicht mehr erinnern, ihr Kopf war immer noch wie leer gefegt. Vor fünf Wochen?
Nein. Es mussten fast schon … Schockiert dämmerte ihr, dass sie seit Beginn ihrer USA-Reise keine Blutung mehr gehabt hatte. Seit über zwölf Wochen.
Grundgütiger. Zitternd sank sie auf den kleinen Badhocker, der zum Glück direkt hinter ihr stand. Wäre dem nicht so gewesen, wäre sie vermutlich in die Badewanne gefallen. Mit klopfendem Herzen versuchte sie, einen klaren Gedanken zu fassen. Es konnte ja auch sein, dass sich ihre Periode durch die ganze Aufregung verspätet hatte. Aber gleich zwölf Wochen? Das war doch ziemlich unwahrscheinlich. War sie schwanger? Nach dem, was zwischen ihr und Ramon gewesen war … Höchst wahrscheinlich.
Atemlos presste Anja die Finger gegen die Lippen. Sie bekam vielleicht ein Kind … Ramons Kind.
Wie von der Tarantel gestochen sprang sie auf. Eine Woge der Gefühle erfasste sie. Alles auf einmal. Freude, Verzweiflung, Hoffnung, Angst, aber immer wieder Freude. Freude. Freude.
Sie brauchte einen Schwangerschaftstest. Sofort. Völlig außer sich stürzte sie ins Wohnzimmer.
*
Carolin ließ bei Anjas Geschwindigkeit vor Schreck ihr Buch fallen. Ratlos beäugte sie das aufgeregte Gesicht ihrer Freundin. »Was ist denn mit dir pass… « Ihr Blick blieb an dem Tampon hängen, der offenbar völlig vergessen zwischen ihren Fingern klemmte. »Oh, oh!«
»Caro, ich muss in eine Apotheke«, teilte Anja bemüht ruhig mit.
Carolin stand so abrupt auf, dass das Buch geradewegs zu Boden polterte. »Du … du denkst doch nicht … Anja!« Sie sprach mit Luft. Ihre Freundin hetzte bereits zur Tür.
»Bis gleich.«
»Halt, halt, halt!« Carolin eilte ihr hinterher und packte sie am Arm. »So lasse ich dich nicht fahren, sonst landest du an der nächsten Hauswand. Ich komme mit.«
Wie zwei aufgescheuchte Hennen rannten sie aus der Wohnung und hasteten zu ihrem gemeinsamen Auto. Carolin verlangte dem kleinen Wagen das Letzte ab, nur, um möglichst schnell zu einer Apotheke zu gelangen.
Kurz darauf kehrten sie in die Wohnung zurück.
Gespannt wartete sie vor der Badezimmertür, bis Anja mit dem Teststäbchen herauskam.
*
Anja konnte kaum stillhalten. Ungeduldig trommelte sie mit den Fingerspitzen auf die Tischplatte, beäugte immer wieder die Digitalanzeige der Eieruhr. Wie konnten fünf Minuten nur so lange dauern?
Carolin, dicht neben ihr, blickte nicht minder gespannt darauf. Dann war die Zeit endlich um. Hektisch riss sie das Stäbchen an sich. Das Ergebnis war eindeutig. Blau.
Ihr Herz vollführte einen heftigen Sprung. Dann noch einen, während in ihrem Kopf genau drei Worte widerhallten. Ich bin schwanger!
Carolin fing sich als Erste. »Mein Gott, Anja, was machst du denn jetzt?« In ihrer Stimme schwang fast
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