Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo immer Du bist, Darling

Wo immer Du bist, Darling

Titel: Wo immer Du bist, Darling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Stefanie Hoell
Vom Netzwerk:
aus.
    Sofort rutschte sie zwischen seine Beine und lehnte sich rückwärts an seine Brust. Ramon schloss seine Arme samt Decke um sie.
    Anja seufzte, als er begann, mit dem rauen Stoff Wärme in ihre eiskalte Haut zu rubbeln. Weil sie spürte, dass er genauso fror wie sie, kuschelte sie sich dichter an ihn, damit ihre Körper sich gegenseitig aufwärmen konnten. Ihr Kopf passte genau in seine Halsbeuge.
    »Wegen vorhin …«, begann sie, sobald das Beben ihrer Lippen etwas nachgelassen hatte. »Bitte entschuldige, dass ich dir solche Schwierigkeiten gemacht habe.«
    »Du hast mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt«, gestand er ruhig. »Hast du diese Angstattacken schon lange?«
     
    *
     
    Ramon dachte, sie würde ihm nicht antworten, doch dann drehte Anja den Kopf und sah ihn an. Inzwischen war es draußen so dämmrig geworden, dass er in der düsteren Höhle nur noch das Glänzen ihrer Augen erkennen konnte.
    »Ich war acht Jahre alt, als dieser schreckliche Unfall geschah«, erzählte sie und sah wieder von ihm weg. »Meine Eltern und ich waren im Auto unterwegs. Es war Winter und bitterkalt und ich kann mich noch daran erinnern, dass sie in den Nachrichten immer wieder davor gewarnt haben, dass es auf den Straßen zu Blitzeis kommen kann. Im Dunkeln fuhr mein Vater üblicherweise ziemlich langsam. Er war ein sehr vorsichtiger Fahrer.« Sie stockte, spürbar überwältigt von den schmerzlichen Erinnerungen.
    Ramon saß unbewegt hinter ihr, massierte nur leicht ihre Arme, während er darauf wartete, dass sie fortfuhr.
    Sie räusperte sich. »Ein kleiner Laster war gegen die Leitplanke gerutscht und stand quer auf der Straße. Das ist unmittelbar nach einer Kurve passiert, deshalb hat mein Vater den Wagen auch erst sehr kurzfristig entdeckt. Er hat noch versucht, auszuweichen, aber es war zu spät. Wir haben den Laster gerammt, schleuderten von der Straße und sind eine Böschung hinabgestürzt. Ich habe nur noch mitgekriegt, wie meine Mutter schrie. Im Polizeibericht stand später, dass der Wagen mit dem Dach zuerst aufgetroffen ist. Meine Eltern waren auf der Stelle tot«, flüsterte sie tonlos. »Ich habe nur deshalb überlebt, weil ich noch so klein war. Es hat Stunden gedauert, bis die Feuerwehr mich aus dem Wrack befreien konnte und …« Der Rest des Satzes verebbte.
    »Und seit damals hast du Platzangst«, endete Ramon verstehend.
    Sie nickte abgehackt.
    »Was ist dann aus dir geworden, so ganz allein?«
    Es dauerte einige Momente, bis Anja sich wieder so weit gefasst hatte, dass sie sprechen konnte. »Ich bin bei meiner Großmutter aufgewachsen. Wir haben uns sehr geliebt. Die furchtbare Tragödie hat uns eng verbunden.«
    »Denkst du noch oft daran, was damals passiert ist?«
    »Manchmal. Immer dann, wenn ich durch meine Angst wieder daran erinnert werde.«
    »Es muss die Hölle gewesen sein, was du durchgemacht hast.« Ramon schob die schmerzlichen Gedanken an den Tod seiner eigenen Mutter vehement zur Seite. Unwillkürlich drückte er Anja fester an sich.
    Sie atmete aus. »Es ist schon lange her und ich habe viel darüber nachgedacht. Schlimme Erlebnisse brauchen Zeit, bis sie verblassen, aber zuerst muss man sich damit auseinandersetzen. Irgendwann übersteht man alle Dinge. Manche schneller, andere langsamer. Meine Oma hat oft gesagt, dass sich die Erde jeden Tag weiterdreht, und dass wir nach vorn sehen müssen, da sich die Vergangenheit ohnehin nicht mehr ändern lässt. Sie war eine weise Frau, das weiß ich jetzt.«
    Ramon lauschte ihren Worten, sie berührten seine Seele, sprachen eine Wahrheit, die er auch für sich selbst erkennen musste.
    »Ja, das war sie wirklich«, sagte er und rieb seine Lippen an ihrem Scheitel.
    Sie schwiegen eine ganze Weile. Bald konnte er kaum noch die Hand vor den Augen sehen. Gemeinsam mit Anja in Erinnerungen vertieft, saß er da, während der Regen in unverminderter Kraft weiter vor der kleinen Höhle auf den Boden prasselte.
    Einige Zeit später zog er die Beine an und löste widerwillig seine Arme von Anja. »Ich werde mich mal langsam darum kümmern, dass wir nicht verhungern.«
     
    *
     
    Anja rutschte zur Seite, um ihm Platz zu machen. »Soll ich dir helfen?«
    »Nein, lass nur. Unser übliches Festmahl bekomme ich auch allein hin.«
    Sie hörte, wie er leise raschelnd die Vorräte auspackte, dann gab es ein kurzes Schnappen, als er sein Feuerzeug entzündete. Wenig später erfüllte das spärliche Licht des kleinen Gasbrenners ihre vorübergehende

Weitere Kostenlose Bücher