Wo mein Herz wohnt: Mittsommergeheimnis (German Edition)
versuchte der Notar, Bjorkman zur Vernunft zu bringen. “Wir können doch alles in Ruhe regeln.”
Doch Linus’ Großvater schrie weiter. “Da gibt es nichts zu regeln! Ich werde nicht zulassen, dass unser Enkelkind bei wildfremden Menschen aufwächst!” Er sah Bolander an. “Also – was können meine Frau und ich dagegen tun?”
Der Notar schüttelte den Kopf. “Es tut mir leid, aber meine Aufgabe ist es lediglich, Ihnen den letzten Willen der Verstorbenen mitzuteilen. Wertungen oder Beratungen, ganz gleich für welche Seite, stehen mir nicht zu. Alles, was ich Ihnen sagen kann, ist, dass dieser letzte Wille Bestand hat. Vorausgesetzt, dass die Begünstigten bereit und in der Lage sind, den kleinen Linus aufzunehmen.”
Ehe Bjorkman etwas erwidern konnte, meldete sich nun Sander zum ersten Mal zu Wort. Seine Stimme klang tonlos, und sein Gesicht zeigte keinerlei Regung. “Wie sollten wir dazu in der Lage sein?”, fragte er, und Finja hatte das Gefühl, als stelle er die Frage vor allem sich selbst. “Wir können das Kind doch schlecht aus seiner gewohnten Umgebung reißen und mit nach New York nehmen.”
“Da hören Sie es!”, nahm Bjorkman den ihm zugespielten Ball dankbar auf. “Die zwei wären überhaupt nicht in der Lage, dieser Verantwortung gerecht zu werden!”
Der Notar wandte sich Finja und Sander zu. “In der Tat bestünde nicht die Möglichkeit, Linus mit nach Amerika zu nehmen”, erklärte er. “Die detaillierten Bedingungen des Testaments sehen nämlich vor, dass Linus in geordneten und harmonischen Verhältnissen von Ihnen beiden großgezogen wird.” Er machte eine kurze bedeutungsschwere Pause “Und zwar hier in Schweden, in Ihrem Geburtshaus, Finja.”
3. KAPITEL
“S ander! So warte doch!”
Sobald der Notar die letzten Worte ausgesprochen hatte, war Sander aufgesprungen. Jetzt verließ er das Büro beinahe fluchtartig, und Finjas erster Impuls war es, ihm hinterherzulaufen.
Doch dann hielt sie sich zurück. Es gab noch einige äußerst wichtige Dinge zu klären. Außerdem wollte sie den Bjorkmans gegenüber keine Schwäche zeigen. So wie sie die beiden einschätzte, würden sie nicht zögern, jeden noch so kleinen Vorteil zu ihren Gunsten zu nutzen.
Finja atmete tief durch, dann wandte sie sich wieder an den Notar. “Was genau habe ich unter geordneten und harmonischen Verhältnissen zu verstehen?”, fragte sie.
“Nun, es ist nicht an mir, die Worte Ihrer Schwester und Ihres Schwagers zu interpretieren. Doch in mindestens zwei Punkten lässt das Testament kaum Spielraum für Zweifel: Die erste Bedingung ist, dass Sie beide – Ihr Mann und Sie – Linus gemeinsam großziehen. Außerdem war es ein besonderer Wunsch Ihrer Schwester, dass Linus hier in Dvägersdal aufwachsen soll.”
Finja nickte. “Das bedeutet, wenn Sander und ich keine Einigung finden …”
“Sie müssen sich natürlich nicht auf der Stelle entscheiden”, sagte Lennart Bolander. “Reden Sie mit Ihrem Mann, besprechen Sie das Für und Wider. Dies ist keine Entscheidung, die man einfach so übers Knie brechen kann.”
“Sag doch gleich, dass du den Kleinen nicht willst”, mischte sich Sybilla Bjorkman ein. Empört schaute sie den Notar an. “Es sieht sogar ein Blinder, dass es in dieser Ehe kriselt. Ich frage mich, wie jemand die Verantwortung für ein fünfjähriges Kind übernehmen will, der noch nicht einmal seine eigenen Probleme in den Griff bekommt.”
Wütend funkelte Finja die Schwiegermutter ihrer verstorbenen Schwester an. “Du kennst weder Sander noch mich gut genug, um ein Urteil über unsere Ehe abgeben zu können”, entgegnete sie kühl. “Und ich bin sicher, dass wir Linus ein liebevolleres und harmonischeres Zuhause bieten können als du und dein Mann.”
“Also, das ist doch …!”
Finja zog es vor, sie zu ignorieren, und wandte sich wieder an Lennart Bolander. “Bitte geben Sie uns achtundvierzig Stunden Zeit”, bat sie. “Aber wer wird sich bis dahin um Linus kümmern?”
“Dafür sind wir also gut genug”, wetterte Sybilla Bjorkman, die den fragenden Blick des Notars richtig deutete. “Natürlich kann unser Enkel bei uns bleiben.” Sie kniff die Augen zusammen. “Und nur damit Sie sich keinen Illusionen hingeben: Wir werden alle Hebel in Bewegung setzen, damit das auch so bleibt. Linus gehört zu uns! Man kann wohl kaum von uns erwarten, dass wir unseren Enkel in die Hände dieser Frau geben – einer Verrückten!”
Entsetzt schaute Finja die ältere
Weitere Kostenlose Bücher