Wo niemand dich findet
den Vorgarten verschattete.
Pekannuss-Bäume und gepflegte Vorgärten. Sie konnte kaum glauben, dass ein hartgesottener Mordermittler in einer so hübschen bürgerlichen Gegend wohnte. Alex hatte noch nie ein Haus besessen. Kochen und Dinner-Partys machten ihr keinen Spaß, und auch fürs Gärtnern hatte sie nichts übrig. Sie verbrachte ihre meiste Zeit mit Arbeiten, ihre kleine Wohnung war für sie kaum mehr als eine Schlafstätte und der Ort zur Aufbewahrung ihrer Sachen.
Alex warf die Baseballkappe auf den Beifahrersitz ihres Autos und fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie Lippenstift auflegen sollte, verwarf den Gedanken jedoch rasch. Hier ging es ums Geschäft. Punkt. Sie stieg aus dem Auto und warf die Tür zu.
Im Haus schien kein Licht, doch Nathans Mustang stand in der Garagenauffahrt. Sie ging den Bürgersteig
entlang, als ein Strahler aufleuchtete. Überrascht suchte sie in den Fenstern an der Frontseite des Hauses nach einer Bewegung. Nichts. Sie schritt zur Haustür und klingelte. Wartete. Und wartete. Und klingelte wieder. In der Diele ging Licht an. Schließlich öffnete sich die Tür, Nathan stand vor ihr, nur mit einem blauen Badetuch bekleidet.
»Hast du meine Nachricht nicht bekommen?« Er trat einen Schritt zurück und ließ sie ein. Beim Eintreten zwang sie sich, nicht allzu lange auf seine kräftige Brust zu blicken.
»Doch, hab ich«, sagte sie. »Deswegen bin ich auch hier. Es gibt da was, das auf keinen Fall bis morgen warten kann.«
Er schloss die Tür und lief an ihr vorbei in den dunklen Gang. »Dann musst du dich beeilen. Ich muss nach Round Rock, einen Verdächtigen verhören.«
Das hatte er ihr bereits vor einer halben Stunde auf die Mailbox gesprochen, als er ihre Verabredung zum Abendessen abgesagt hatte. Alex war enttäuscht gewesen, und das nicht nur, weil sie ihm etwas Wichtiges zeigen wollte. Sie war den ganzen Tag allein unterwegs gewesen, um jemanden zu observieren, und hatte sich nun auf Gesellschaft gefreut.
Der Mann, auf den sie sich gefreut hatte, führte sie in sein Schlafzimmer. Wie im übrigen Haus schien das Wort »Junggeselle« im Raum zu schweben. Vor dem Eintreten zögerte Alex kurz. Die Luft war dampfig und vom herben Duft seines Duschgels erfüllt. Als einzige Lichtquelle stand in einer Zimmerecke eine schwarze Bodenlampe. Auch sonst war das Zimmer spärlich möbliert – nichts
außer einer kleinen Kommode und einem einfachen Doppelbett, auf dem eine weiße Tagesdecke lag.
Mit dem Rücken zu ihr stand Nathan vor dem Schrank. »Mein Tag ist völlig aus dem Ruder gelaufen.« Er griff sich einige Kleidungsstücke und ging ins Bad. »Tut mir leid wegen unserem Abendessen, aber ich kann’s wirklich nicht ändern.« Er lehnte die Badezimmertür an, sodass sie ihn weiter hören konnte. »Wir haben wochenlang daran gearbeitet, diesen Kerl dingfest zu machen, und jetzt brauchen wir ein Geständnis von ihm.«
Alex kannte Nathans Ruf. Er hatte den Spitznamen »Priester« – nicht wegen eines besonders frommen Lebenswandels, sondern wegen seiner legendären Gabe, Verdächtigen Geständnisse zu entlocken. Nathan konnte unglaublich gut plaudern und Leuten die Zunge lockern. Alex wusste nicht, wie er das anstellte, aber zwei, drei Mal war auch sie seinem Charme schon erlegen.
»Aber was wolltest du mir denn erzählen?«, fragte er mit lauter Stimme, um das Summen des elektrischen Rasierers zu übertönen.
Alex sah sich unschlüssig um. Im Zimmer befand sich kein Stuhl, sodass sie sich vorsichtig auf die Bettkante setzte. Dabei widerstand sie dem Impuls, durch den Türspalt auf den Badezimmerspiegel zu blicken.
Eigentlich wollte sie ihm so viel sagen, dass sie gar nicht wusste, wo anfangen. Also begann sie von vorn.
»Ich habe ein paar Informationen über den Anwalt eingeholt.« Sie hörte, wie ein Handtuch auf den Boden fiel und er in seine Hose schlüpfte.
»Was denn für ein Anwalt?«
»Er heißt William Scoffield und hat mich gestern
besucht. Wegen Melanie. Deswegen habe ich auch versucht, mit ihr in Kontakt zu treten.«
Nun öffnete er die Badezimmertür, kam ins Schlafzimmer und knöpfte sich dabei die Manschetten seines Hemdes zu. Weißes Hemd, graue Hose. Das schien seine Art Uniform zu sein.
»Was wollte der Anwalt von ihr?«, fragte er.
»Du solltest wegen dem Auge doch lieber zum Arzt gehen. Das sieht heute noch schlimmer aus als gestern.«
Er zog eine Kommodenschublade auf und fischte ein Paar Socken
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