Wo niemand dich findet
Und das Ergebnis stimmte mit einem vorhandenen Täterprofil überein.«
»Lass mich raten. Es war Korbin.«
»Sechs Monate danach ein weiterer Treffer. Wieder Korbin. Bis heute konnte man diesem Scheißkerl sechs Vergewaltigungen nachweisen. Wäre nur eine einzige Probe eher untersucht worden, hätte man das Schwein vor dem Mord an Vanessa weggesperrt.«
Nathan schwieg. Sie vermutete, dass er seine Empörung schon vor Jahren verloren hatte. Oder vielleicht floss sie in die ruhige Entschlossenheit, mit der er seine Fälle anpackte.
»Na, wie auch immer, als ungefähr die dritte Vergewaltigung aufgedeckt wurde, ist Vanessas Mutter ausgetickt«, fuhr Alex fort. »Sie hat das gesamte Familienvermögen, das ganze Ölgeld gespendet. Zweiundneunzig Millionen Dollar. Floss alles in das Stiftungsvermögen des Delphi Centers. Das ist zumindest der Löwenanteil. Seit der Eröffnung wurden im Center unzählige Vergewaltigungsfälle
neu aufgerollt. Zum Gründungsauftrag gehört nämlich die Aufarbeitung von ungeklärten Altfällen.«
Nach einer weiteren Kurve kam das Gebäude in Sicht.
»Wow!«, rief Nathan aus. »Sieht aus wie ein griechischer Tempel, den man auf einen Golfplatz gestellt hat.«
Ein Grinsen huschte über Alex’ Gesicht. Als sie über die gewundene Auffahrt chauffierte, war sie aufs Neue überwältigt von dem strahlend weißen Bauwerk, das auf einem flauschigen Grasteppich zu stehen schien. Inmitten der wilden und kargen texanischen Hügellandschaft wirkte der penibel gepflegte Rasen wie von einer anderen Welt.
Alex bog in den Besucherparkplatz und steuerte einen freien Stellplatz an. Nach dem Aussteigen staunte Nathan erst einmal einen Augenblick das Gebäude an.
»Wahnsinn, oder?«, brach es aus ihr hervor.
»Dagegen ist unser Labor ein Bretterverschlag. Der nur von Klebeband und Kaugummi zusammengehalten wird.«
Auch Alex’ Bewunderung galt dem Gebäude. Sie konnte nicht glauben, dass man ausgerechnet sie hierher engagieren wollte. Unfassbar. Sie wandte sich an Nathan: »Sollen wir reingehen?«
»Geh du vor.«
Sie stiegen die weißen Marmorstufen hinauf. Als Nathan für sie die Glastür öffnete, kam ihnen ein Schwall kühler Luft entgegen. Er nahm die Sonnenbrille ab.
»Das ist nur der Vorgeschmack, das Gebäude ist teilweise fast tiefgekühlt«, flachste sie. Sie gingen an dem Wachmann vorbei und zeigten ihre Ausweise am Empfang.
Der Rezeptionist tippte etwas in den Computer und führte ein kurzes Telefonat, dann erhielten sie beide Besucherausweise. Alex hatte Mia auf der Fahrt informiert, dass Nathan mitkam.
»Ach ja, noch was. Mia ist ziemlich jung«, meinte sie. »Nur für den Fall, dass dich ihr Anblick überraschen sollte.«
»Was heißt ziemlich jung?« Bei dieser Frage klemmte Nathan sich den Besucherausweis an das blaue Hemd. Es passte farblich perfekt zu seinen Augen.
»Keine Ahnung. Anfang dreißig vielleicht? Für ihre vielen akademischen Abschlüsse und so ist sie jedenfalls sehr jung.«
In einiger Entfernung war das leise Klingeln des Aufzugs zu hören. Kaum hatte sich Alex umgedreht, sah sie Mia auf sie zu kommen.
»Da hast du nicht zu viel versprochen«, murmelte Nathan. Während Mia sich näherte, registrierte Alex, wie Nathan die Frau mit Pferdeschwanz und Sommersprossen musterte. Ohne den Laborkittel des Delphi Centers wäre sie auch als Studentin durchgegangen.
»Alex. Detective Devereaux.« Mia lächelte sie an. »Kommen Sie doch bitte mit.«
Alex hatte angenommen, dass sie zu den Aufzügen gehen würden. Doch stattdessen führte sie Mia durch zwei Glastüren auf einer anderen Seite des Komplexes nach draußen. Dort betraten sie wieder Rasen, und vor ihnen eröffnete sich der Ausblick über eine felsige Schlucht.
»Endlich regnet’s mal nicht«, plauderte Mia fröhlich. »Da können wir sogar im Freien reden.«
Alex’ Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Sie
schwieg jedoch, als Mia sie über einen mit Steinplatten belegten Weg führte. An einem Picknicktisch unter einem Pekannussbaum setzten sie sich – Mia auf der einen Seite, Alex und Nathan auf der anderen.
Mia wandte sich an Nathan. »Sie sind also Mordermittler? Ist das Ihr Fall?«
»Offiziell ist es noch kein Fall, also nein«, antwortete er.
»Nun, ich hoffe, die Ergebnisse bringen Sie weiter. Was auch daraus werden mag.«
Was sollte das heißen? Alex war sich nicht sicher, aber sie wappnete sich für das Schlimmste.
»Okay, fangen wir von vorne an.« Mia nahm einen Spiralblock aus der Tasche
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