Wo niemand dich findet
Orleans?«
»Ich hab keinen Schimmer«, sagte Sophie. »Da müssen Sie sie schon selbst fragen.«
Allein die Windschutzscheibe! Alles an diesem Schlachtschiff war gigantisch. Alex fragte sich, wann, nicht ob diese Karre den Geist aufgeben würde. Sie verabscheute den Sunliner und fuhr ihn eigentlich kaum. Aber nun musste sie unbedingt nach Louisiana, und das in einem Fahrzeug ohne GPS-Tracking, damit man ihren Weg nicht verfolgen konnte.
Sie sah auf den Tacho und hoffte, dass er einigermaßen zuverlässig war. Inklusive Tankstopp noch vier Stunden, so schätzte sie, war die verbleibende Fahrtzeit. Falls die Tankanzeige stimmte. Als ihr Vater ihr den Schlüssel für den Schlitten überreicht hatte, hatte er gemeint: »Er läuft ausgezeichnet. Du musst ihn nur in Schuss halten.«
Alex begriff Autoliebhaber nicht. Sie hatte keine Ahnung, warum jemand solche Spritschlucker sammelte. Aber egal, einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul. Sie hatte den Wagen zu ihrem neunzehnten Geburtstag geschenkt bekommen, pleite und arbeitslos. Da hatte sie sich schlecht beschweren können.
Überall hatte sie den Sunliner gehabt – in Urbana genauso wie in Chicago und San Francisco. Selbst als sie nach Austin gezogen war, wo man eigentlich nur mit einem Auto mit Klimaanlage überleben konnte, hatte sie die verdammte Kiste behalten. Warum nur? Sie wusste es nicht. Die Karre brauchte zu viel Platz und erfüllte eigentlich keinen vernünftigen Zweck. Aber irgendwie hatte sie es nicht übers Herz gebracht, den Wagen abzustoßen.
Alex kurbelte das Fenster herunter. Eine erfrischende Brise wehte herein und mit ihr der Geruch von feuchtem Asphalt und Kiefern. Es war fast, als würde sie nach einem Regenschauer durch einen Kiefernwald fahren. Diesen Teil von Texas kannte sie kaum – und über ihr Ziel wusste sie noch weniger. Louisiana. Das war für sie die Sumpflandschaft der Bayous. Alligatoren. Mardi Gras.
Und Nathan Devereaux.
Den ganzen Vormittag war sie zu beschäftigt gewesen,
aber in den letzten Stunden hatte sie viel Zeit gehabt, über die letzte Nacht nachzudenken. Jede einzelne atemberaubende Sekunde hatte sie noch einmal durchlebt, angefangen von dem Augenblick, an dem sie die Terrasse betreten und gesehen hatte, wie das Begehren in seinen Augen aufgeflammt war. Wieder hatte sie seine Lippen auf ihrer Brust gespürt, seine Hände auf ihrer Haut, den süßen Schmerz, als er in sie eingedrungen war.
Auch die ruhigeren Momente kamen ihr ins Gedächtnis, jene Augenblicke, in denen sie in der Dunkelheit lagen und wieder Atem geschöpft hatten. Im Grunde waren das die Momente gewesen, die sie am meisten genossen hatte. Als hätten sie eine eigene Welt gehabt, eine Welt, zu der niemand Zugang hatte außer ihnen beiden.
Doch dann war die Wirklichkeit hereingeplatzt.
Alex war zu aufgeregt gewesen, um mehr als ein paar Worte zu belauschen, die Nathan mit seiner Ex gewechselt hatte. Sie hatte nicht die Geistesgegenwart besessen, um die Ecke zu blicken und sich die Frau anzusehen. Stattdessen war sie panisch sofort in ihre Sneakers geschlüpft. Das tat ihr nun leid. Mit welchem Typ Frau hatte Nathan einmal sein Leben verbringen wollen?
Alex schielte zu ihrem Handy, das auf dem Beifahrersitz lag. Kurz nach Houston hatte sie es auf stumm gestellt. Sie wusste, warum er anrief. Sie wusste auch, wie überzeugend er war, wie gut er darin war, Menschen Informationen und Geständnisse zu entlocken. Aber Alex wollte ihn nicht in ihre Pläne einweihen, und da war es am besten, erst gar nicht mit ihm zu sprechen. Keine Fragen, kein Geständnis. Und keine lästigen Detectives, die
in letzter Minute auftauchten und alles über den Haufen warfen. Wenigstens hoffte sie das.
Sie hatte geplant, Melanie in ihrem Versteck zu treffen und sie über die Grenze zu schaffen, ehe Coghan oder einer seiner Handlanger herausfand, wo sie war.
Alex fuhr durch dichte Wälder. Hier schien die Dämmerung schon Nacht geworden zu sein.
WILLKOMMEN IN LOUISIANA.
Das Schild, das die Autofahrer im Nachbarstaat von Texas begrüßte, nahm sie nur für Sekunden wahr. Doch es hatte die Frage aufkeimen lassen, was Melanie ausgerechnet nach New Orleans getrieben hatte. Sie hätte überall hingehen können. Das Einzige, was sie wirklich brauchte, war ein Ort, an dem sie – möglichst rund um die Uhr zugänglich – ihre wichtigsten Sachen und Unterlagen aufbewahren konnte: Geburtsurkunde, Pass, Bargeld, die wichtigsten Telefonnummern. Warum hatte sie alles
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