Wo niemand dich findet
Balkontür, als sie das Bad betrat.
Dunkelheit. Sie musste drei verschiedene Lichtschalter ausprobieren, ehe sie das Licht für die Dusche fand.
Die aber eine Badewanne war. Mit geschwungenen Füßen in Form von Tierpfoten. Unter anderen Voraussetzungen hätte sie das hinreißend gefunden. Unter anderen Umständen hätte sie auch Nathan hinreißend gefunden, weil er sie in eine so niedliche kleine Pension in seiner Heimatstadt gebracht hatte.
Aber jetzt war ihr nur kalt, nein, sie war durchgefroren bis auf die Knochen. Wahrscheinlich würde auch keine heiße Dusche – oder Bad – diese Kälte vertreiben können.
Sie drehte das heiße Wasser auf und steckte den Stöpsel in die Wanne. Dann zog sie sich aus. Ihre Kleidung ließ sie einfach in einem Haufen unter dem Waschbecken liegen. Ohne einen einzigen Blick in den Spiegel stieg sie in die Wanne und legte den verbundenen Arm auf den Wannenrand. Wenigstens war es der linke. Sie musste ihn nur ein paar Tage ruhig halten, dann wäre alles wieder in Ordnung.
Melanie lag im Koma. Möglicherweise würde sie nie wieder gehen oder sprechen können. Oder allein ein Bad nehmen.
Alex verwendete die Hotelseife und das Hotelshampoo, um sich zu waschen, so gut es ging. Alles roch nach Lavendel, doch auch dieser Duft entspannte sie nicht. Das Badewasser war beinahe lila geworden von dem vielen getrockneten Blut auf ihrem Körper. Alex stieg aus der Wanne und trocknete sich ab. Dann wickelte sie sich in das Badetuch des Hotels.
Sie öffnete die Tür einen Spalt und spähte hinaus. Das große Bett war leer. Sie ließ das Badezimmerlicht brennen, schaltete aber das große Deckenlicht im Raum ab.
Im Schein des Lichts, das aus dem Badezimmer hereinfiel, holte sie ein sauberes T-Shirt und einen sauberen Slip aus ihrem Rucksack und zog sie an.
Anschließend schlüpfte sie ins Bett und ließ den Kopf auf das kühle Daunenkissen sinken. Sie wickelte sich in die weiche Decke. Die Kühle des Betts ließ sie kurz schaudern. Ihr wurde einfach nicht warm. Sie kniff die Augen zu. Melanie. Der Gedanke an sie ließ das Gefühl der Kälte noch wachsen.
Eine Träne rann ihr über die Backe. Und eine zweite. Sie presste das Gesicht in das Kissen, um den Wunsch zu weinen zu unterdrücken.
Knarrend ging die Balkontür auf. Jede Faser ihres Körpers spannte sich an, während sie zuhörte, wie Nathan im Zimmer herumging, die Schuhe auszog und sich am Waschbecken wusch. Sie hörte, wie er die Lederjacke über einen Stuhl warf und die Hosentaschen auf den Tisch leerte. Sein Holster mit der Pistole machte ein dumpfes Geräusch. Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, dass er zu ihr ins Bett stieg.
Schließlich sank die Matratze unter seinem Gewicht ein, und er legte sich neben sie. Sie versuchte, gleichmäßig zu atmen, so zu tun, als schliefe sie. Das war kindisch, zugegeben, aber ihr war jetzt ganz und gar nicht nach Sex. Wenn er sie auch nur berührte …
Er legte einen Arm um ihre Taille und zog sie zu sich. Dann strich er ihr das feuchte Haar aus dem Gesicht, und seine Finger fuhren über ihre feuchte Wange.
Er zog sie näher an seine kräftige, warme Brust, und sie stieß einen Seufzer aus.
»Alles ist gut«, murmelte er.
Sie kniff die Augen fester zu.
»Schatz, es ist alles gut.« Sanft strich er ihr mit den Fingerspitzen über die Wange. Sie unterdrückte ein Schluchzen.
Und dann war das Spiel aus. Sie rollte sich ganz klein zusammen und versuchte nicht mehr, sich zu beherrschen. Sie weinte – so hemmungslos laut und herzzerreißend, wie sie zuletzt als Kind geweint hatte. Nathan sprach kein Wort. Er hielt sie nur eng umschlungen, und selbst durch die Bettdecke spürte sie die Wärme, die von ihm ausging.
Als sie völlig erschöpft war, all ihre Tränen versiegt waren, legte sie eine Hand auf seine und presste sie gegen seine Brust. Wärme war das Letzte, das sie wahrnahm, ehe sie schließlich einschlief.
22
Alex tat sich schwer mit dem Aufwachen. Ihre Gedanken waren unklar. Verschwommen. Ihr Blick fiel auf die abgewetzte Lederjacke, die über einem Stuhl hing. Nathan.
Und Melanie.
Sie setzte sich im Bett auf. Sofort wurde ihr schwummrig.
Da fielen ihr die Schmerztabletten ein. Sie betrachtete ihren verbundenen Arm und dachte an das Milchgesicht von Arzt, der sie genäht und ihr das Medikamentenschächtelchen gegeben hatte. Sie versuchte, sich im Zimmer zu orientieren. Schwach erinnerte sie sich daran, dass sie im Morgengrauen kurz aufgewacht war. Alles war in ein
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