Wo niemand dich findet
er sie nicht so an. Normalerweise blickte er weniger forschend. Beiläufiger. So entspannt wie er sprach. Gestern musste er beunruhigt gewesen sein. Nicht nur wegen des Krankenhauses, auch wegen Alex’ Zusammenbruch hinterher.
»Ich heul schon nicht gleich, wenn dir das Sorgen macht.«
»Ach komm, darum geht es doch gar nicht«, beruhigte er sie. »Wie geht’s dir?«
Sie zuckte die Achseln. »Alles okay.«
Doch das schien ihn nicht zu überzeugen. Sie erhob sich. »Ich muss ins Krankenhaus. Und dann muss ich Melanie und mich aus dem Hyatt auschecken.«
»Erst mal musst du was essen.«
»Ich muss auch meine Autos abholen. Die stehen beide noch vor dem Motel.«
Nun erhob auch er sich. »Erst essen wir was. Das andere kannst du auch später erledigen.«
Mit einem Blick erkannte sie, dass sie darüber nicht weiter zu diskutieren brauchte. Besser sie hob sich ihre Kraft für später auf. Sie hatte das Gefühl, dass sie in den nächsten Stunden noch einiges zu klären hatten. Zum Beispiel hatte er noch mit keiner Silbe erwähnt, dass er wieder fahren wollte. Nathans Anwesenheit – vor allem in dieser niedlichen Pension – passte ganz und gar nicht zu ihren Plänen.
Er sah sie an, als erwartete er Widerspruch. Als der ausblieb, legte er ihr die Hände auf die Schultern und drehte sie zur Balkontür.
»Du hast doch Größe vierunddreißig, oder?« Er öffnete die Tür und schob sie sanft ins Zimmer.
»Was hab ich?« Beim Anblick des zerwühlten Bettes unterdrückte sie die Erinnerung daran, wie sie gestern in seinen Armen in Tränen ausgebrochen war.
»Kleidergröße vierunddreißig«, wiederholte er. »Ich verschätze mich da eigentlich selten.«
Sie gab keine Antwort. Vermutlich verschätzte er sich nicht, weil er schon mal verheiratet gewesen war. Oder?
Alex hatte allerdings Kleidergröße sechsunddreißig. Doch sie ließ ihm den Glauben.
Neben der Zimmertür stand eine weiße Einkaufstüte. Sie spürte seinen Blick, als sie sie entdeckte und den Inhalt inspizierte.
Es war tatsächlich schwarz! Aber im Grunde gar nicht mal schlecht. Sie hielt das schlichte, ärmellose Kleid aus einer Art Kunstfaser vor sich. Vorne war eine Knopfleiste, und der Rock war ein wenig ausgestellt. Alex seufzte.
»Die anderen Sachen sind auch drin.«
Sie sah ihn mit hochgezogenen Brauen an, doch er verzog keine Miene.
»Danke. Das Geld bekommst du natürlich wieder.« Bei diesen Worten huschte ein Anflug von Verärgerung über sein Gesicht.
Statt vor ihm einen Striptease zu vollführen, ging sie zum Umziehen ins Bad. Außer dem Kleid, das nur ein klein bisschen knapp saß, hatte er ihr ein schwarzes Spitzenhöschen und einen passenden Bügel-BH gekauft. Bei der Körbchengröße 90C war wohl auch etwas Wunschdenken dabei. Alex beschloss, auf den BH zu verzichten, und ließ ihn wieder in die Tüte fallen. Nach dem Anziehen putzte sie sich die Zähne und band das Haar zu einem Pferdeschwanz.
Im Bad roch es nach Rasierseife, und für ein paar Momente verfiel sie in eine wehmütige Stimmung. Wann hatte sie zum letzten Mal mit einem Mann das Bad geteilt? Wie lange hatte sie schon keine richtige Beziehung mehr gehabt? Es mussten Jahre sein …
Troy zählte nicht. Sie hatten sich schon lange vorher gekannt, und ihre Affäre war kurz gewesen.
Und Nathan? Die jetzige Situation hatte etwas sehr Intimes, und das machte sie befangen. Er war die ganze
Strecke hierhergefahren, höchstwahrscheinlich um sie vor den mutmaßlichen Gefahren ihrer Arbeit zu retten. Aber was nun? Er hatte ihr noch keine Standpauke gehalten, aber sie hatte das Gefühl, dass sie noch bevorstand. Vielleicht lockte ihn auch die Aussicht auf Sex? Sie erinnerte sich, wie er sie gestern Nacht eng umschlungen gehalten hatte. Stundenlang waren sie zusammen im Bett gelegen, und er hatte sie die ganze Zeit nur im Arm gehalten. Aber das würde heute Nacht sicher anders werden. Und ein Teil von ihr wünschte sich das auch.
Sie legte noch etwas Lipgloss auf, ehe sie das Bad verließ und in die Flip-Flops schlüpfte. »Fertig«, sagte sie und nahm ihre Handtasche.
Im Aufzug nach unten schwiegen sie beide. Im Foyer lotste Nathan sie zu ihrer Überraschung nicht auf den Parkplatz, sondern zum Haupteingang.
»Gehen wir etwa zu Fuß?«, erkundigte sie sich.
»Ich dachte, ich zeig dir ein bisschen was vom French Quarter.«
Als sie auf den kopfsteingepflasterten Gehsteig traten, blinzelte sie in das helle Sonnenlicht.
»In welche Richtung?«
Er nahm ihre Hand und
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