Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
Anziehsachen.« Mr Tweedies Stimme klang bekümmert. »Alles, was du anhast, ist so …« Er hielt inne. »Versteh mich nicht falsch, Sophie, mich stört es nicht, aber du musst dich doch einfügen. Geh und such dir was in der Kleiderkammer aus.« Mr Tweedie setzte sein strengstes Gesicht auf und warf ihr einen Blick zu, der keine Widerrede duldete. »Bevor Mrs Sharman dich sieht«, fügte er vielsagend hinzu.
Im Speisesaal nahm Sophie einen der dicken weißen Teller aus der Plastikkiste neben der Theke und suchte sich die am wenigsten fleckige Banane aus, dazu ein Glas verdünnten Orangensaft. Sie legte alles auf ein Tablett und ging zu Delphine und Marianne hinüber, die bereits an dem langen Esstisch saßen. Sie waren die Letzten heute Morgen, und die Küchenfrauen gingen bereits herum und räumten das Geschirr ab.
»Was wollte Tweedie von dir?«, fragte Marianne, ohne den Blick von ihrem Physikbuch zu nehmen, das sie an den großen Salzstreuer gelehnt hatte. Sophie fiel siedend heiß ein, dass sie heute eine Arbeit schrieben. Das hatte sie völlig vergessen.
»Pulloveralarm.«
»Dass der so hartnäckig sein kann«, wunderte sich Delphine. »Sag einfach Ja und Amen zu allem, was er von sich gibt. Dann hört er meistens auf.«
»Er macht doch nur seinen Job«, wandte Marianne ein, während ihre Augen über die Buchseite wanderten. »He, habt ihr gewusst, dass der Einfallswinkel gleich dem Reflexionswinkel ist?«
Delphine verdrehte die Augen.
»Nein, aber wisst ihr, dass heute der erste März ist?«, sagte Sophie schnell, um Marianne auf andere Gedanken zu bringen. »Und das bedeutet, dass die Liste heute Morgen aushängt.«
»Was für eine Liste?« Delphine nahm ein kleines Stück Butter und legte es auf ihren Tellerrand. Davon schnitt sie mit dem Messer ein noch kleineres Stück ab und strich es auf ein winziges Toaststück. Dann biss sie in den gebutterten Toast und wiederholte die ganze Prozedur. Bei diesem Tempo, überlegte Sophie, würde Delphine gut zehn Minuten brauchen, um die Toastscheibe fertig zu essen. (Marianne könnte es sicher auf die Sekunde genau ausrechnen.)
»Na, die Ferienliste. Wo wir in der letzten Halbjahrswoche hinfahren«, sagte Sophie und schälte ihre Banane.
Delphine zuckte die Schultern. »Na und? Was wird das schon sein? Garantiert nichts Spannendes. Das sparen sie für die sechste Klasse auf.«
»Wir kriegen wahrscheinlich ›Kochen in Hardy County‹«, stöhnte Sophie.
»Oder französisch-belgische Schlachtfelder«, sagte Marianne und blickte endlich von ihrem Physikbuch auf. »Aber da müssen wir schon verdammt viel Glück haben.«
»Ja und? Ist doch okay für jemand, der sonst nur in Cornwall rumhängt«, stichelte Delphine.
»Aber ich liebe Cornwall«, rief Marianne empört.
»Ja, gut, aber chic ist es nicht gerade«, lästerte Delphine. »Nicht wie die Ile de Ré, wo man in Designer-Shorts und süßen kleinen Espadrilles rumläuft.«
»Ich will mit nach St. Petersburg«, platzte Sophie heraus.
Da bitte. Jetzt hatte sie es ausgesprochen. Obwohl sie sich geschworen hatte den Mund zu halten. Sie wusste aus bitterer Erfahrung, dass es zwecklos war, Rosemary um etwas zu bitten – dann bekam sie es erst recht nicht. Wütend biss sie sich auf die Lippen. Jetzt hatte sie ihre Chance verspielt. Wenn sie doch nur die paar Minuten vollends den Mund gehalten hätte!
»Träum weiter!«, lachte Marianne und stopfte ihr Physikbuch in die Tasche zurück. »Du weißt doch, dass wir keine Chance haben.« Und insgeheim musste Sophie ihr Recht geben. Nur wenn man Russisch als Leistungskurs hatte, konnte man auf diese Reise hoffen.
»Und außerdem, wer will schon um diese Zeit nach St. Petersburg?« Delphine schauderte. »Im März ist es doch viel zu kalt dort.«
»Ja und? Schnee in Russland! Das ist doch gerade der Clou!« Sophie schlang sich die Arme um die Schultern. »Und Kälte macht mir nichts aus, daran bin ich gewöhnt. Rosemarys Wohnung ist ein Kühlschrank. Heizen findet sie unmoralisch.«
»Ist ja auch schlecht für die Umwelt«, sagte Marianne altklug. »Aber wie hältst du das bloß aus ohne anständige Kleidung, Sophie?«
»Rosemary hat mir eine alte Nerzjacke gegeben, die ich im Bett anziehen kann.«
»Aha, Heizen ist unmoralisch, aber unschuldige Tiere töten und ihnen das Fell abziehen, das ist in Ordnung?«, schnaubte Marianne.
»Na ja, die Pelze sind doch uralt. Die Tiere wären jetzt sowieso längst tot. Und es fühlt sich irgendwie gut an – wie
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