Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
allein lassen?«, fragte er verlegen. »Die Prinzessin muss arbeiten. Und ich …« Er runzelte die Stirn. »Ich habe auch ein paar dringende Aufgaben zu erledigen …«
Die drei Mädchen gingen die lange Treppe hinauf, wickelten sich dabei aus ihren warmen Schals und öffneten die Gürtel ihrer schubas .
»Arbeiten?«, sagte Delphine kopfschüttelnd. »Was hat eine Prinzessin schon zu arbeiten?«
»Vielleicht haben wir sie vorher beim Abstauben unterbrochen«, grinste Marianne und fuhr mit dem Finger über das schmutzige Geländer.
»Ich kapier’s einfach nicht«, murmelte Delphine. »Warum hat sie uns überhaupt eingeladen?«
»Ja«, stimmte Marianne zu. »Ich weiß auch nicht, was wir hier sollen. Vom wahren russischen Alltag kriegen wir hier jedenfalls nicht viel mit.«
Und da begriff Sophie, dass dieses russische Abenteuer für ihre beiden Freundinnen längst nicht so wichtig war wie für sie. Ja, sie hatte sogar das Gefühl, dass ihr die Menschen, die hier gelebt hatten, viel näher standen als ihren Freundinnen. Aber wie sollte sie das in Worte fassen? Die anderen würden es ja doch nicht verstehen und nach dem Zwischenfall auf dem Teich hielt sie lieber den Mund.
»Vielleicht wollte sie einfach Gesellschaft?«, sagte sie schließlich trotzdem. »Freunde.«
»Pah, eine schöne Freundin«, schnaubte Marianne. »Auf so was kann ich verzichten.«
»Was glaubt ihr, worüber die sich gestritten haben?«, fragte Delphine.
»Wir wissen doch gar nicht, ob sie überhaupt gestritten haben«, wandte Sophie ein. »Vielleicht haben sie einfach nur was besprochen.«
»Seit meine Eltern sich getrennt haben, weiß ich, was Streit ist und was nicht«, sagte Delphine. »Das kannst du mir glauben. Auch wenn es an der Oberfläche noch so harmlos aussieht.«
Inzwischen hatten sie das Kinderzimmer erreicht. Delphine drückte den Türgriff herunter, der wie eine Wolfspranke geformt war. »Irgendwie komisch, diese Wolfs-Manie«, sagte sie und schaute Sophie an. »Das war vorher keine so gute Idee von dir.«
»Wieso, was meinst du?«
»Na, so zu tun, als ob du einen Wolf gesehen hättest, nur damit sie dich beachtet. Das war echt lahm.«
»Delphine! Das ist gemein!«, rief Marianne entsetzt.
»Wieso? Ich mein’s doch nur gut mit ihr«, sagte Delphine und ging ins Zimmer hinein. »Die Prinzessin war stocksauer auf sie, das hab ich doch gesehen.«
»Also ehrlich, Delphine, das musst du zurücknehmen!«, sagte Marianne und folgte ihr.
Sophie stand alleine da. Wie sollte sie jetzt zu den anderen ins Zimmer gehen und Delphine gegenübertreten? Es war kein blinder Alarm gewesen, sie hatte den Wolf doch gesehen! Aber plötzlich wuchs ihr alles über den Kopf – und im Grund genommen wusste sie ja selber nicht, was genau sie am Teich gesehen hatte. Tränen schossen ihr in die Augen, und als ihr dann auch noch ein lautes Schluchzen entfuhr, rannte sie in blinder Panik den Gang entlang. Sie musste weg hier, eine Weile allein sein und nachdenken, ehe sie Delphine erklären konnte, was mit ihr los war. Oder nein, lieber doch nicht. Keine Erklärungen. Wozu denn auch?
Verzweifelt versuchte sie die Stimme ihres Vaters heraufzubeschwören, während sie durch den Palast irrte, aber nach jener ersten Fahrt durch den Silberwald war er wieder verstummt. Sophie wusste nicht, warum, wünschte sich nur, dass er zurückkam.
Sie hatte längst jedes Zeitgefühl verloren, als ihr klar wurde, dass sie sich hoffnungslos verirrt hatte. Wie war sie nur hierhergekommen? Ja, richtig – zuerst eine andere, kleinere Treppe hinauf, dann einen Gang entlang, bis sie schließlich in einem ganz anderen Teil des Palasts gelandet war. Aber vor ihr lag eine Spiegeltür, die ihr vertraut erschien – die Tür zu dem Ballsaal, in dem sie die Prinzessin zum ersten Mal gesehen hatten.
Das Licht der Kerzenstummel in den Wandleuchtern flackerte auf, als Sophie die Tür öffnete, um dann rasch wieder zu einem stetigen Schein zu verblassen, der sich endlos in den Spiegeln fortsetzte. Sie hob den Kopf und sah, wie der größte Lüster an der Decke zu wackeln und zu klirren begann. Lichtfünkchen tanzten durch den Raum, dann fiel zu ihrer Verblüffung ein Seil herunter.
» Bystro! « Eine Stimme. Eine Jungenstimme.
Sophie rannte zu dem Seil, spähte hinauf und sah Dimitri, der zu ihr herunterstarrte. Ihr Gesicht brannte vor Verlegenheit. Wie peinlich, dass sie Dimitri hier ertappt hatte! Und hoffentlich wusste er nicht, dass sie mit angehört hatte, wie
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