Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
du wirklich was im Wald gesehen, Sophie?«, wisperte Marianne. Gehetzt blickte sie sich um, als könne jeden Moment ein Wolf aus den Bäumen herausspringen. »Du warst so weiß im Gesicht, als ob du einen Geist gesehen hättest und keinen Wolf.«
Sophie griff zu einer Notlüge, um Marianne nicht noch mehr zu erschrecken. »Nein, da war nichts«, versicherte sie.
»Natürlich nicht«, mischte Delphine sich ein. »Was soll sie auch gesehen haben? Das war nur blinder Alarm. Nächstes Mal glaubt dir niemand mehr, wenn du so ein Angsthase bist, Sophie«, lachte sie. »Das hast du jetzt davon.«
Die Glöckchen bimmelten, die Kufen glitten durch den Schnee und die Prinzessin lenkte den Vozok auf den schmalen Pfad, der in den Wald führte.
Der Mond war inzwischen aufgegangen, aber durch das schwarze Astgewirr war nicht viel von ihm zu sehen. Viflijanka trabte zügig dahin, sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Sophie schaute zu dem kleinen Tempel zurück, bis sie ihn nicht mehr sehen konnte.
»Wir hätten nicht durch den Wald fahren sollen«, sagte Ivan. Er behielt seine Hand auf dem Gewehr. »Der Weg am Waldrand entlang ist sicherer.«
»Ich dachte, da sei nichts«, wandte die Prinzessin ein. »Oder hast du mich angelogen?«
»Ich würde Sie niemals anlügen, Prinzessin«, versicherte Ivan, aber er wirkte ziemlich kleinlaut.
»Vergiss nicht, was passiert, wenn ich dir nicht mehr vertrauen kann, Ivan«, zischte die Prinzessin ihm zu. Doch dann merkte sie, dass Sophie sie beobachtete, und schaltete sofort in einen anderen Tonfall. »Aber du siehst ja, wie gut ich dein Pferdchen im Griff habe«, zog sie ihn auf. »Oder findest du immer noch, dass ich zu schnell fahre?« Sie nahm die Zügel kürzer und ließ Viflijanka im Schritt gehen.
Das alles war so schnell gegangen, dass Sophie ihren eigenen Augen nicht traute. Was war da gewesen? War die Prinzessin böse auf Ivan? Aber Ivan war doch nicht unzuverlässig? Im Gegenteil, Sophie hätte so einen treuen Diener immer an ihrer Seite haben wollen, wenn sie eine Prinzessin gewesen wäre.
»Ich denke, es ist besser, wenn wir in diesem Teil des Waldes zügig vorankommen, Prinzessin«, warnte Ivan.
Sophie konnte jetzt nicht an den Wolf denken. Er war nicht mehr in der Nähe, das spürte sie. Plötzlich schossen ihr Tränen in die Augen und sie kämpfte mit aller Kraft dagegen an. Es war zum Verzweifeln: Sie hatte sich vor der Prinzessin blamiert, vor dem einzigen Menschen, der in ihren Augen zählte. Wann war ihr je eine solche Chance geboten worden? Schönheit, Magie, Freundschaft, das alles war in greifbare Nähe gerückt und sie hatte es vermasselt, dumm, wie sie nun mal war. Die Prinzessin wollte nichts von Wölfen hören, die sich in ihrem Wald herumtrieben. Das war ja wohl klar. Nur weil sie Wolfsköpfe auf dem Silberbesteck hatte, musste sie noch lange keine Wölfe vor der Haustür dulden. Wölfe sind gefährlich – wilde Tiere, die einem an die Kehle gehen, wenn man ihnen in die Quere kommt.
Sophie starrte in die Bäume, die an ihr vorüberglitten, und war todunglücklich. Ob sie die Prinzessin je wieder für sich gewinnen konnte?
Die Prinzessin fuhr sie bis vor den Palast. Dimitri wartete unter dem Portikus. Halb erfroren und ganz elend sah er aus, nicht wie vorher im Wald. Sophie bekam sofort Mitleid mit ihm. Aber der Junge schaute keinen von ihnen an, als er vortrat, um Viflijankas Zügel zu nehmen.
Die Prinzessin stieg vom Kutschbock und funkelte Dimitri an. Dann stapfte sie um den Schlitten herum und redete leise mit ihm. Jetzt stieg auch Ivan ab. Die Prinzessin schien Ivan ein Problem zu erklären und alle drei redeten in kurzen, heftigen Sätzen miteinander. Die Prinzessin sah wütend aus, obwohl sie nicht herumbrüllte. Dimitri, der zuerst mit fester, energischer Stimme gesprochen hatte, verstummte mürrisch.
»Er muss etwas angestellt haben«, sagte Marianne, die immer noch unter den Pelzdecken kauerte.
Und vermutlich hatte sie Recht. Aber was in aller Welt sollte der Junge angestellt haben? Sophie konnte es sich beim besten Willen nicht erklären.
Als sie wieder im Palast waren, wirkte die Prinzessin zerstreut und distanziert und behandelte die Mädchen wie Luft. Stattdessen redete sie auf Russisch mit Ivan und ihre Stimme klang immer gereizter. Ivan stotterte etwas hervor, das sich nach einer Entschuldigung anhörte, und die Prinzessin stolzierte die Treppe hinauf.
Ivan wirkte zerknirscht, fast verängstigt. »Kann ich euch bis zum Abendessen
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