Wo Schneeflocken glitzern (German Edition)
die Prinzessin ihn nach dem Picknick am See abgekanzelt hatte. Selbst wenn er etwas gemacht hatte, das der Prinzessin nicht passte, war es nicht in Ordnung, wie verächtlich sie ihn behandelt hatte. So ging man nicht mit anderen Menschen um!
Die Glasgehänge des Kronleuchters klirrten und der Leuchter selbst schwang wild hin und her, als der Junge sich herunterbeugte.
»Was machst du denn da oben?«, stieß Sophie hervor.
»Wir reden! Frau sieht uns hier nicht!«
Die Prinzessin hatte Dimitri als »schmutzigen domovoi « beschimpft. Sie würde an die Decke springen, wenn sie wüsste, dass Sophie hier mit ihm redete.
»Ich kann nicht da raufkommen«, sagte sie. »Ich kann nicht klettern …«
»Stell Fuß in Schlinge und halte Seil fest! Ich dich hochziehe!«, rief Dimitri ganz ernst.
Sophie zögerte. Aber der Krach mit Delphine steckte ihr noch in den Knochen und sie war froh jemanden zum Reden zu haben. Entschlossen packte sie das Seil mit beiden Händen und setzte ihren Fuß in die Schlinge.
»Gut festhalten!«, rief Dimitri.
Im nächsten Moment wurde sie in die Luft gehoben, ruckartig, mit kurzen Pausen in der Aufwärtsbewegung, wenn Dimitri das Seil durch seine Hände gleiten ließ.
Sophie bekam plötzlich Angst vor ihrer eigenen Courage und wusste nicht mehr, ob ihre Entscheidung richtig war. Aber jetzt war es sowieso zu spät. Sie schloss die Augen und fragte sich, wie weit sie in die Tiefe stürzen würde. Am besten gar nicht hinsehen!
Dann griff ein Arm nach ihr und zog sie in den Kronleuchter hinauf. »Setz dich auf die Seite«, kommandierte Dimitri.
»Ich bin nicht schwindelfrei …« Sophie schaute geradeaus vor sich hin, während sie sich einen Platz suchte.
»Halte dich fest!«, warnte Dimitri, als der Kronleuchter zu kippeln begann. »Pass auf!«
Sophie ließ sich vorsichtig auf ein horizontales Metallstück sinken.
»Du musst dich zurücklehnen!«, sagte Dimitri und führte ihr vor, wie er an der vergoldeten Metallstange lehnte. Dann starrte er sie an. »Weinst du?«
»Nein!« Sophie wischte sich das Gesicht mit den Händen ab.
Dimitri runzelte die Stirn, sagte aber nichts mehr.
»Ich hab dich gesehen«, fing Sophie nach ein paar Sekunden des Schweigens an. »Im Wald. Du hast gejagt.«
Der Junge zuckte die Schultern. »Essen. Ich alles finde, was ich brauche, in Wald. Sogar im Winter.«
Sophie spielte einen Augenblick mit dem Gedanken, ihn zu fragen, womit er die Prinzessin so erzürnt hatte. Aber sie wollte ihn nicht in Verlegenheit bringen. Er hatte sie doch eingeladen zu ihm in den Kronleuchter hinaufzukommen, er wollte nett zu ihr sein. Da wollte sie nichts kaputt machen.
»Und noch was hab ich gesehen«, sagte sie stattdessen, bremste sich aber, weil sie plötzlich nicht mehr wusste, ob sie es ihm erzählen sollte oder nicht. Sie würde sich ja doch nur wieder blamieren …
»Was?« Dimitri schaute sie scharf an, aber sein eigenes Gesicht blieb undurchdringlich.
Sie musste ihm nichts sagen, wenn sie nicht wollte. Sie konnte jederzeit die Bremse ziehen. Aber was dann? Zu Delhine und Marianne wollte sie nicht zurück. Die verstanden sie ja doch nicht und mit irgendjemandem musste sie darüber reden.
»Ich habe einen …«
»Wolf gesehen?«, wisperte der Junge.
»Ja.« Er wusste Bescheid. Sophie seufzte vor Erleichterung, und der Kronleuchter wackelte, dass die Kristallgehänge nur so bebten und klirrten. »Die Prinzessin hat mir nicht geglaubt«, fügte sie hinzu. »Und Delphine sagt, ich hätte das nur erfunden, um mich vor der Prinzessin wichtigzumachen.«
Dimitri antwortete nicht sofort. Nachdenklich schnippte er einen Kristalltropfen mit dem Finger an. »Du magst diese Frau?«
Er wich ihrem Blick aus, so dass es ihr leichterfiel, eine ehrliche Antwort zu geben. »Ich finde sie faszinierend – ich habe noch nie so eine außergewöhnliche Persönlichkeit kennengelernt. Sie ist wie ein Diamant, oder? So funkelnd, so hell, dass man die Augen nicht von ihr abwenden kann.« Sophie hielt einen Augenblick inne. Warum sollte sie vor Dimitri zugeben, wie schüchtern und gehemmt sie in Gegenwart der Prinzessin war, wie viel Angst sie hatte, sich unsterblich zu blamieren? Oder dass ihr die Prinzessin manchmal richtig unheimlich war. Das brauchte der fremde Junge nicht zu wissen. Und sie wollte ihn auch nicht kränken, indem sie etwas Falsches über die Prinzessin sagte.
Schnell zog sie ihren Fuß von Dimitri weg. Sie mussten sich hier oben ganz eng zusammenkauern, und es
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