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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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drei auf die Brandung zu.
    »Ich wollte ihn nicht beleidigen«, sagte Roetgen entschuldigend.
    »Das war ganz richtig so«, meinte Moéma. »Hättest du ihm auch nur einen Funken Hoffnung gemacht, wäre er unerträglich geworden … Er wird es schon verkraften. Wie auch immer, für einen Drink umsonst macht er alles. Apropos Drink – Juju, machst du uns bitte einen fertig?«
    Juju brachte ihnen eine kaum genießbare lauwarme Cachaça mit Limette. Nach dem ersten Glas waren alle drei beschwipst.
    Zu beiden Seiten ihres Gesichtsfeldes verschwand der nur in der Ferne leicht rosa getönte Strand in einem großen Gleißen. Über den verwaschen blauen Atlantik rollte langsam, mit stetigem Rauschen die Dünung heran. Einige hoch ans Ufer gezogene Jangadas, ein paar wenige, hier und da verstreute Badende, sonst beeinträchtige nichts ihr Gefühl, im Nirgendwo gelandet zu sein, am Ende der Welt, in einem jener Zwischenzustände, in denen der Geist wundersam zu Ruhe und Vergessenheit kommt und unverhofft Frieden findet.
    »Wirklich«, sagte Moéma, »so könnte ich den Rest meines Lebens verbringen. Ich könnte mein ganzes Scheißleben lang auf die Wellen schauen, ein Glas in der Hand …«
    Thaïs schmollte nicht mehr. Den Kopf auf Moémas Bauch, lag sie im Sand und berichtete Roetgen von ihrem Projekt einer Literatur-Bar, schimpfte dabei über die Ignoranz der Welt und die Verachtung des brasilianischen Bürgertums für die Poesie. Sie redete sich in Hoffnungslosigkeit hinein, wollte alles und jeden abgrundtief verdammen –
O que é isso, companheiro?
Die Autobiographie von Fernando Gabeira? Jetzt sag nicht, von dem hast du noch nie gehört? –, wurde dann dank Moémas Hand, die ihr das Haar kraulte, wieder etwas milder, trällerte leise Bossa novas von João Gilberto und Vinicius de Moraes und ließ sich in der tiefen Melancholie dieser Verse treiben.
Tristeza não tem fim, felicidade sim …
Ob er sie denn schon einmal gelesen hatte, nicht nur gehört, sondern wirklich gelesen, die Gedichte von Vinicius, von Chico Buarque, von Caetano Veloso? Die Mühe müsse er sich mal machen. Und von Mário de Andrade, ja? Und Guimarães Rosa? Ohne
Grande Sertão: Veredas
gelesen zu haben, würde er ihre Welt nie begreifen können.
    Roetgen notierte die Titel im Geiste, trotz seiner unwillkürlichen Vorbehalte wegen der Sänger auf der Liste.
    Marlene kehrte mit seinen Freunden und ein paar neuen Gesichtern zurück. Ohne Groll verlangte er nach dem versprochenen Drink, überzog alle mit einer Flut aus geistreichen Sprüchen und schlüpfrigen Bemerkungen und verriet Roetgen, dass sich drei-, vierhundert Meter weiter ein Strandabschnitt befand, wo die wahren Liebhaber von Canoa FKK betrieben, Gitarre spielten, einen Joint rauchten … Die wirkliche Freiheit! Apropos,
Maconha
könne er ihm besorgen, wenn er wollte. Und zwar guten Stoff, gar kein Problem … Nach ein paar Cachaças erkletterte er, behängt mit Badehandtüchern, den einzigen Tisch in der Strohhütte und legte eine improvisierte Striptease-Pantomime hin, die allen Zuschauern grölendes Gelächter entlockte.
     
    Spätnachmittags erwachte Roetgen irgendwann; er lag auf dem Boden der Hütte, die Hängematte lose unter ihm. An diese letzte Szene mit Marlene erinnerte er sich, danach zerfaserte sein Gedächtnis. Irgendwie war ihm, als hätte er mit Moéma geschlafen, aber beschworen hätte er das nicht. Alles andere war in einem schwarzen Loch verschwunden, aus dem sich nur ein paar verschwommene Bilder und ein unbegreifliches Ressentiment gegen die junge Frau zurückholen ließen. In dem Moment, als er sich darüber wundern wollte, was mit seiner Hängematte sein mochte, fiel ihm der seltsam schräg herabhängende Ast auf, der von der Decke bis zu dem Strippengewirr auf seinen Zehen reichte.
    »Na, Dionysos, gut geschlafen?«, meinte eine Stimme etwas über ihm.
    Thaïs’ belustigtes Gesicht erschien über dem Rand ihrer Hängematte, und gleich auch Moémas, die ebenso wohlwollend dreinschaute wie ihre Freundin, an die sie sich verliebt ankuschelte.
    »Als wir alle fanden, jetzt ist es Zeit für eine Siesta, bist du die Düne hoch wie ein Roboter, ohne zu schwanken, gleichmäßig, und zwar langsam, dabei war der Sand doppelt so heiß wie als wir ankamen! Dann hast du dich in meine Hängematte gelegt und angefangen, eine Vorlesung über Dionysos zu halten. Mit allem Drum und Dran, Nietzsche, Kult und Mythos, die ›heilige Gewalt‹, unerschöpflich!«
    »War es

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