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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Vieh getötet!«, rief er mit einer Art jungenhaftem Stolz.
    Verblüfft sowohl, dass es hier in den Dünen so eine Schlange gab, als auch von der Reaktion des Fischers, verfolgte Roetgen, wie dieser das sich immer noch windende Tier griff, lachend um seinen Körper wirbelte und dann wegschleuderte.
    Der heilige Georg, stolzer noch darauf, seine Angst besiegt zu haben als für einen kleinen Augenblick das Böse … Oder war das eher ein Opfer, eine rituelle Handlung, die aus uralter Zeit bis in unsere selbstzufriedenen Tage überlebt hatte?
    Von dieser blutbesprenkelten Stelle der Düne aus gingen sie hinunter zum Wasser.
    Die beiden anderen Fischer hatten gerade ein Stück Kokospalmenstamm unter den flachen Bug der Jangada geschoben. Sie waren recht jung, aber schon zahnlos – Roetgen sollte auch später niemals an Brasilien denken können, ohne die vom Hunger so scheußlich wehrlos gemachten Münder vor sich zu sehen –, und besonders gesprächig wirkten sie nicht: Paulino, mit schwellenden Muskeln, wolligem, von Sonne und Salz rötlich ausgebleichtem Haar, und Isaac, schmaler, hohlbrüstig wegen einer angeborenen Verformung des Brustbeins.
    João verstaute das Holz in einem Korb, kontrollierte den Sitz des Palmenstamms, dann schoben die vier Männer das Boot darauf, bis es sich im Gleichgewicht befand. In diesem Moment schob Paulino einen zweiten Stammabschnitt vorn unter den Bug und griff rasch zu, so dass sie das Boot nun zu viert darübergleiten ließen. Jedes Mal, wenn sie ein Stück weit gekommen waren, holte Paulino das hinten frei werdende Stück nach vorn, und immer so weiter bis ans Wasser. Als die Jangada frei schwamm, schaffte er die beiden schweren Teile weit nach oben auf den Strand zurück, wo sie vor der Flut in Sicherheit waren, während die drei anderen, bis zum Gürtel im Wasser, das Boot festhielten. Sobald er wieder bei ihnen war, schwangen sich alle an Bord. João ergriff das Steuerruder, und bald machte er die Leine des Großsegels los. Leicht und graziös glitt die Jangada übers Wasser.
    Hinter ihnen begannen die Dünen sich rosig zu färben; weitere Jangadas schienen sie mit entfalteten Segeln zu verfolgen; noch nah am Ufer, tanzten sie wie zerknitterte Schmetterlinge.
     
    Vorm Seitenwind her eilte die Jangada aufs offene Meer hinaus, mit jenem typischen Klatschen des Wassers am Bug und der sachten Neigung, die den Körper zu unablässigen Gleichgewichtsmanövern zwingt. João stand hinten, die Hinterbacken fest an eine schmale Bank gelehnt, und hielt das Ruder konzentriert mit beiden Händen. Roetgen saß mit Isaac und Paulino auf der Luvseite; er knabberte an seiner
Rapadura
, weniger aus Hunger, als um sich anzupassen. Er war froh, auf dem Wasser zu sein, und musterte das Boot mit dem genießerischen Blick des passionierten Seglers.
    Rund sieben Meter lang und zwei Meter breit, war diese Jangada ein Wunder an zweckmäßiger Eleganz. Geschnitten wie ein Frachtkahn, ohne Querstreben noch Cockpit, lief der Bootsrumpf an beiden Enden graziös spitz zu, wodurch er eher an ein Surfboard erinnerte als an ein flaches Wasserfahrzeug. Abgesehen von der Ruderbank hinten, bestanden die einzigen Aufbauten an Bord aus einer Art Bock ganz vorn, der zum Aufwickeln der Seile und zum Festhalten diente, und einem Gestell aus massivem Holz, in dem eine lange, abmontierbare Antenne steckte, ohne weitere Verspannung, fein und elastisch wie die Mittelader eines Blattes.
    Auf dem dunklen, von Löchern und Flicken übersäten Segel stand in großen schwarzen Buchstaben
Indústria de Extração de Aracati
 …
    Am erstaunlichsten aber fand Roetgen, dass es auf dem gesamten Segler kein einziges Stück Metall gab. Kein Griff, kein Nagel … alles war verzapft oder verbunden; sogar die Antenne und der Mastbaum, die aus mehreren Teilen bestanden, hielten nur dank schlichter Umwicklungen mit Angelschnur zusammen!
    Ins Extrem getriebenes Lob des Vegetabilen, veraltete Hymne auf jenes goldene Zeitalter, das dem Schwert, der Armbrust, den Helmen und Rüstungen vorausging! Es gab eine Zeit, da baten die Indios an diesen Küsten die Bäume um Verzeihung, bevor sie sie fällten, ohne anderes Werkzeug als Feuer oder Feuerstein.
    Später erläuterte ihm João, das Ganze sei zwar anfällig, doch lasse sich auf diese Weise jedweder Schaden rasch und mit dem, was man an Bord hatte, beheben. Zumal es Bruch immer nur an den schwächsten Punkten der Verbindungen gab, und da der Faden früher riss, als das Holz brach,

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