Wo Tiger zu Hause sind
sagt, und er genoss die Gedanken- und Erinnerungslosigkeit.
Ab Sonnenuntergang wurde es schwieriger. Von See her war Wind aufgekommen und türmte allmählich um die Jangada herum eine bedrohliche Dünung auf. Ein Streifen blaugrauer Wolken hing sehr niedrig überm Horizont und schien sich ihnen rasch zu nähern. Das schien nichts Gutes zu verheißen, doch sorgten sich die Fischer nicht weiter. Im letzten Tageslicht vertäuten Paulino und João alle Kleinteile an Bord, während Isaac noch einen Bonito kochte, den sie zu diesem Zweck beiseitegelegt hatten. Während er abkühlte, verstauten alle ihre Leinen und nahmen stattdessen stabilere, besser armierte Schnüre zur Hand.
»Nachts beißen nur die Großen«, erklärte João seinem Schützling, »Haie, Säbelfische, so in der Art … Dann werfen wir nur noch zwei Leinen aus, damit es kein Durcheinander gibt.«
Paulino und Isaac aßen einen Bissen mit ihnen, dann schlüpften sie in den Schiffsrumpf, unter die Bodenbretter. Als er sah, wie eine Hand noch einen Stofffetzen zwischen Lukendeckel und Rand klemmte, wohl, damit etwas Luft hineinkam, fragte Roetgen sich, wie die beiden Männer in einem derart engen Unterschlupf Platz gefunden haben mochten – soweit er es beurteilen konnte, war der Laderaum höchstens fünfzig Zentimeter hoch. Auf ein Zeichen von João lehnte er sich hinten an die Ruderbank, band sich auf Höhe der Taille daran fest und kontrollierte, ob der Palstek auch wirklich fest genug gezogen war, bevor er weiterangelte.
Die See war schwerer geworden; manchmal brachen sich Wellen über ihnen. Roetgen sah die phosphoreszierenden Gischtkämme hoch über ihren Köpfen durch die schwarze Nacht vorüberrollen, Berge brodelnden Wassers, die die Jangada in dem Moment erklomm, in dem er sicher war, dass sie davon verschlungen würde. Der Rumpf wurde fortwährend hin und her geschleudert, er zerrte am Anker – als erfahrener Seemann hatte João rechtzeitig die Ankerleine doppelt lang gelegt –, schoss zur Seite oder erstarrte jäh hart unterm Wind, am Anker zerrend, der Rumpf wurde halb von einer Welle überspült, aber das Boot bot dem Sturm die Stirn. Wenn eine besonders hohe Welle über Deck schlug, saßen beide Männer im gischtenden Wasser wie in einem Schaumbad – ohne die Sicherungsseile, die ihnen in den Bauch schnitten, wären sie unweigerlich verloren gewesen –, dann ging das Rodeo weiter, bis zur Erschöpfung, bis zum Tosen eines neuen Brechers. Von Kopf bis Fuß durchnässt, mit brennenden, von der Gischt geblendeten Augen, machte Roetgen die schlimmste Wache durch, die er je erlebt hatte. Seu Joãos mürrische Ungerührtheit beruhigte ihn kaum, aber er bemühte sich weiterzuangeln, konnte aber eine animalische, bedrückende Angst nicht aus seinem Leib vertreiben. Benommen vom Wind und dem Lärm des Ozeans, kältestarr, sah er Ungeheuer.
Als gegen ein Uhr früh Paulino und Isaac ihre Wache antraten, war kaum Fisch im Korb: Roetgen hatte drei Säbelfische gefangen, João zwei, dazu einen kleinen Hammerhai von rund dreißig Pfund. Die See war immer noch genauso bewegt, doch der Wind legte sich allmählich.
»Es schlägt um«, sagte João zu Paulino. »Jetzt dürfte es nicht mehr so schlimm sein. Vergiss nicht, die Ankerleine immer so viel zu straffen, wie sie nachlässt.«
Er kroch zur Luke und hielt sie halb geöffnet, während Roetgen sich hineingleiten ließ.
»Nur zu, es ist genug Platz«, sagte João, als er sah, dass Roetgen zögerte.
Als der Franzose verschwunden war, zog er über ihnen die Luke zu, achtete aber darauf, sie nicht gänzlich zu schließen. Während der Augenblicke völliger Finsternis in diesem vom Meer gebeutelten Sarg musste Roetgen sich enorm beherrschen, um nicht wieder aufzuspringen.
João riss ein Streichholz an und hielt es an den Docht eines zwischen zwei Salzsäcken klemmenden Kerzenstummels, dann ruckelte er auf der Suche nach einer bequemeren Position hin und her.
»Puxa«
, murmelte er, »so ein Sauwetter!«
Sie lagen rechts und links des Kiels auf der Seite, so nah beieinander, wie sie sich draußen nie gekommen wären. Joãos Gesicht war wie aus altem Holz geschnitzt, jede Falte ein Riss. Es roch stark nach Fisch und Salpeter.
»Ist es oft so?«, fragte Roettgen.
»Manchmal, wenn der Mond schlecht steht. Das Dumme ist nur, die Haie mögen das nicht …«
»Verkaufen die sich besonders gut?«
»Nicht besser als die anderen, aber sie bringen mehr Gewicht auf die Waage. Außerdem kriegen
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