Wo Tiger zu Hause sind
und holte eilig seine Leine ein. Endlich hatte er ein Fischlein am Schwanz erwischt, nur etwas größer als eine Sprotte. Acht Stunden, geschlagene acht Stunden für so einen Winzling! Sofort herrschte an Bord ein erstaunliches Treiben: Während João seinen Fang filettierte, immer sorgsam an der Mittelgräte entlang, entzündeten Paulino und Isaac an einer windgeschützten Stelle ein Feuer in einem Blechkübel. Sobald das Holz brannte, setzten sie einen alten Blechnapf mit Seewasser auf diesen improvisierten Herd. Es sah ganz so aus, als wollten die Männer das Fischlein kochen und sofort verspeisen! Roetgen hätte es auch einfach so roh verputzen können, derart plagte ihn der Hunger. Aber João verteilte die Stückchen, die er zugeschnitten hatte, und so konnten sie endlich alle ihre Haken bestücken.
Keine fünf Minuten später zuckte sein Arm durch einen heftigen Anbiss. Er hieb an und begann, die Leine einzuholen, entsetzt bei der Vorstellung, er könnte den Biss verlieren. João stürzte herbei, schrie allerlei Befehle, bereit, ihm die Leine wegzunehmen. Entmutigt von diesem Beweis geringen Vertrauens, hätte Roetgen ihm beinahe die Leine gegeben, doch sein Instinkt obsiegte; er redete auf Französisch auf den Fisch ein, bedachte ihn abwechselnd mit Flüchen und mit Koseworten, gab bei seinen Fluchtversuchen ein wenig Leine, um ihn dann umso geschickter auszubremsen, und vergaß alles um sich herum außer diesem Zucken und Zerren am Ende seiner Schnur.
»
Cavala
«, stellte João fest, als er den silbernen Blitz ausmachte, der im Wasser hin und her fegte. »Und eine schöne!«
Noch ein Ruck, und mit mattem Aufprall landete der Fisch an Bord, eine Art länglicher Bonito. Kurz erstarrte er, jäh aus einer Welt in eine andere versetzt, dann sperrte er das Maul auf und zappelte blindlings drauflos. Sollte es das Paradies oder die Hölle geben, dann dürften die Verstorbenen so strampeln, wenn sie in jene albtraumhaften Zwischenwelten gerieten … João nahm ihn bei lebendigem Leibe aus, warf das Geschlinge über Bord und zerteilte ihn in längliche, funkelnde Portionen. Einige Stücke bewahrte er als erneuten Köder auf, der Rest wanderte in den Kochtopf.
Gemeinsam überwachten sie die Garung. Als es so weit war, fischte Paulino die Stücke mit einem Ende Holz aus dem Wasser und reihte sie vor sich auf. Die drei Fischer stürzten sich darauf, verbrannten sich die Finger, während sie den Fisch in ihren mehlgefüllten Tüten wälzten, spuckten die Gräten mit sichtbarer Freude ins Wasser und konnten Roetgen nicht genug zu dem prachtvollen ersten Fang des Tages beglückwünschen. Roetgen griff zu wie sie, genoss jeden Mundvoll und fand, so etwas Köstliches habe er noch nie gegessen.
Als sie gesättigt waren, konnte die Arbeit endlich beginnen. Es war vier Uhr nachmittags.
Sackbrassen, Thun, Rochen, Katzenhaie, Goldmakrelen – in raschem Rhythmus hatten sie jetzt einen Fang nach dem anderen. Bisweilen dauerte es fünf bis zehn Minuten, aber keine Leine musste leer eingeholt werden. Roetgen entdeckte eine Welt, die von allem Bekannten sehr verschieden war: Kein Vergnügen am Angeln, sondern die Pferdemakrelen wurden ins Boot gehoben, wie man Mineral abbaut, ohne seelische Beteiligung, ohne Zeit zu verlieren. Zwar gab es bei besonders großen Exemplaren den einen oder anderen Ausruf, aber eher so, wie wenn Minenarbeiter ein besonders ergiebiges oder leicht auszubeutendes neues Kohlenflöz entdecken. Das Tier wurde erschlagen und in einen Korb geworfen; war der überbordend voll, so hakte einer der Fischer seine Leine fest und machte sich ans Einsalzen: Schuppen, ausnehmen, Kopf abschneiden, die Filets in eine Kiste vorn in der Jangada schichten, eine Hand voll grobes Salz darauf. Roetgen lernte das ihm neue Verfahren, und bald war er ebenso flink wie die anderen. Dieser unentbehrliche Arbeitsschritt dauerte jedes Mal eine halbe Stunde; hinterher war man völlig erledigt, in die rissigen Hände biss das Salz, aber man war zufrieden angesichts des Geleisteten.
Roetgen gab sich mit ganzer Aufmerksamkeit der Arbeit hin, darauf bedacht, die Achtung der Fischer zu erringen, und er ließ es sich zur Ehre gereichen, bei ihrem Arbeitstempo mitzuhalten. Die Konzentration ließ ihm keine Pause, er dachte nicht einmal mehr nach, befand sich wieder in dem Erstarrungszustand wie im Bus nach Canoa. Moéma, Thaïs, Brasilien, alles war weg: Sein Geist war blankgeputzt, »klar«, wie man es von einsatzbereiten Leinen
Weitere Kostenlose Bücher