Wo Tiger zu Hause sind
Marmor …
Als ich einige Stunden später in meinem Bett im Collegium Romanum zu mir kam, waren meine beiden Beine mehrfach gebrochen & ich am ganzen Leibe voller blauer Flecken. Kirchers zutiefst besorgter Blick gab mir sogleich zu verstehen, dass dies weniger ein simples Erwachen denn eine Auferstehung war.
Als ich mich wieder einigermaßen bei Sinnen befand, waren meine ersten Worte eine Frage nach der Reaktion des Kardinals sowie eine Entschuldigung bei Kircher ob meines Unvermögens, das seinen Ruf unweigerlich hatte beschädigen müssen; nicht seine Maschine sei Grund des Misserfolgs, wohl aber meine schwache Konstitution & jene panische Angst, die mich gelähmt und somit die Hoffnungen, die auf dieser Unternehmung ruhten, zuschanden gemacht hatte; ich sei des Vertrauens meines Meisters unwürdig & könne mir die Prahlerei, mit der ich mir eine meine Mittel so deutlich übersteigende Aufgabe zugetraut hatte, durchaus nicht verzeihen; kurz gesagt, es wäre besser gewesen, ich wäre bei dem Absturz ums Leben gekommen als gerechte Strafe für die Sünde der Anmaßung …
Kircher ließ mich nicht weiterreden: Ich befände mich ganz und gar im Irrtum, es sei kein Misserfolg gewesen, im Gegenteil, seine Hoffnungen seien weit übertroffen. Als sie die ersten begreiflichen Sorgen ob meines Schicksals überwunden hatten, waren die Geladenen voller Bewunderung: Ein sich von der Engelsburg stürzender Leib würde doch steil in den Burggraben stürzen und dort zerschmettern, ich hingegen hatte es dank der flügelähnlichen Vorrichtung durch den Raum & bis hin zum Tiber geschafft. Folglich war dies ein Flug gewesen! Da nunmehr der Beweis erbracht war, dass der Mensch es dem Adler gleichtun kann, würde man nur mehr gewisse Verbesserungen an der Maschine anbringen & ihre künftigen Piloten besser vorbereiten müssen. Das Problem sei keines mehr der Physik, sondern der Technik; & der menschliche Erfindungsgeist habe von jeher gezeigt, dass er derlei Hindernisse zu überwinden imstande sei. Auch habe dieses Experiment eines angedeutet – und künftige Zeiten würden es vollenden: Dermaleinst würden wir so weit, so hoch & schnell fliegen wie die gewandtesten Raubvögel. Und die Garantie dafür habe niemand anderer erbracht als ich dank meines Muts & Glaubens … Übrigens habe Kardinal Barberini allsogleich seinen Leibchirurgen zu mir beordert & insofern Großmut und Freisinn gezeigt, als er die Flugversuche auf eigene Kosten fortführen wolle, und zwar mit zum Tode Verurteilten, denen auf diesem Wege eine unverhoffte Chance auf ein Weiterleben zuteilwerde.
Diese tröstlichen Worte gaben mir die Kraft & Geduld, meine Bettlägerigkeit zu ertragen. Monsieur Poussin besuchte mich mehrfach, er brachte Alben voller Skizzen & Drucke mit, & die Stunden vergingen vergnüglich im Gespräch über Malerei. Einmal beehrte mich der Kardinal höchstselbst mit seiner Anwesenheit. Er wiederholte wortgenau das, was Kircher berichtet hatte, & beglückwünschte mich abermals für meinen Mut & meine Selbstverleugnung. Mein Meister seinerseits begab sich an mein Krankenlager, sobald seine vielfachen Verpflichtungen ihm Zeit und Gelegenheit dafür ließen. Nichts war besser geeignet, um mir meinen Zustand angenehm zu machen; er las mir laut vor, gab Anekdoten aus China oder von den Indios des Maranhão zum Besten & schilderte mir seine Fortschritte bei der Entzifferung der Hieroglyphen. Ja, seine Aufmerksamkeit ging so weit, dass er eigens ein Musikinstrument ersann, zum einzigen Zweck, mich zu zerstreuen:
Eines schönen Morgens gegen Ende meiner Rekonvaleszenz brachte man mich aus meinem Zimmer in den großen Hörsaal des Collegiums. Sämtliche Pater & ihre Schüler waren alldort versammelt, & man begrüßte mich mit einem Applaus, der eines Mannes von Format würdig gewesen wäre. Erst als ich mich umblickte, bemerkte ich den majestätischen Orgel-Spieltisch, der im Saale aufgebaut war. Seltsam genug, sah man keinerlei Pfeife aus dem hölzernen, mit allerlei bukolischen Szenen kunstvoll geschmückten Gehäuse ragen. Kircher nahm am Manual Platz & brachte eine liebliche Melodie unseres alten Freundes Frescobaldi zu Gehör: Aus der Orgel erklang der Laut eines Spinetts, und ich fragte mich bereits, wozu ein solch umfängliches Gehäuse für eine letztlich so platzsparende Mechanik, da verkündete mein Meister fröhlichen Gesichts laut:
»Und jetzt dieselbe Komposition noch einmal, jedoch mit bioharmonischem Pedal!«
Er
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