Wo Tiger zu Hause sind
unweigerlich! Falls du ihm eines Tages begegnest, was Gott verhüten möge, dann roll dich zu einer Kugel zusammen, mach Augen und Mund zu und verstecke deine Hände zwischen den Beinen, dann lässt es dich in Ruhe.«
»Hör dir diesen Unfug gar nicht erst an, Junge«, warnte Onkel Zé verdrossen. »Sie ist alt, sie weiß nicht, was sie redet.«
»Ach ja?« Firmina empörte sich. »Und Conceicão, schläft die etwa nicht mit ihrem Vater? Jeder weiß das hier. Ist auch kein Wunder, er erzählt es ja jedem, sobald er einen sitzen hat!«
»Mag ja stimmen, aber das beweist noch gar nichts …«
»Und die ganzen armen Leute da draußen, die beweisen auch nichts? Du wirst schon sehen, vielen von denen fehlen Augen, Nägel und Zähne: Das sind die, die noch am Leben waren, als das kopflose Maultier sie geholt hat!«
Zé resignierte angesichts der senilen Starrköpfigkeit seiner Schwester; er kippte seine Cachaça und spuckte aus. Das war doch ein vollkommen unhaltbares Zeug, aber wie sollte er ihr Vernunft einreden? Die Alte hatte eine Antwort auf alles, er sah keinen Weg, ihr klarzumachen, dass sie sich irrte.
»Das ist wie mit den
sacaolhos
«, meinte Nelson nachdenklich. »Die kommen in die Favelas, sogar am helllichten Tag, und holen den Kindern die Augen raus!«
»Gott bewahre!« Dona Firmina bekreuzigte sich. »So was aber auch!«
»Was ist das jetzt schon wieder für eine Geschichte?«, grummelte Onkel Zé.
»Das ist die Wahrheit! Einmal, in Pirambú, hab ich ein Mädchen mit leeren Augenhöhlen gesehen, und seine Mutter, eine Peruanerin, hat mir erzählt, dass sie es waren: Gringos, sie kommen immer zu dritt, zwei Männer und eine blonde Frau, in weißen Kitteln, als wären sie Ärzte. In einem Nissan Patrol mit getönten Scheiben rollen sie langsam durch die Favelas, und wenn sie ein Kind sehen, das allein ist, bieten sie ihm eine Limonade oder ein
guaraná
an, und dann bringen sie es an einen geheimen Ort. Und da nehmen sie ihm die Augen raus oder saugen ihm das Fett ab! Manchmal nehmen die beiden …«
»Das Fett?«, fragte Onkel Zé angewidert, jetzt war seine Skepsis verflogen. »Wozu denn das um Himmels willen?«
»Kosmetik für die Amerikaner und ihre Freunde. Das Öl von den
Caboclos
, das ist sehr gut für die Haut der Weißen, da wird sie jünger von, glatter, verstehst du. Aber sie nehmen es auch, um ihre ausgeklügelten Maschinen zu ölen, und um die Raumfähre vor der kosmischen Strahlung zu schützen. Die NASA braucht viel davon, tonnenweise, und es ist teurer als Gold! Also lässt unsere Regierung sie machen, um die Schulden zu bezahlen … So geht das in ganz Lateinamerika. Früher haben sie die Dünnen noch in Ruhe gelassen, aber jetzt sind sie nicht mehr wählerisch.«
»Und was machen sie mit den Augen?«
»Die Augen werden verpflanzt … Die Kleine von meiner Nachbarin hat noch Glück gehabt, sie haben ihr das Fett nicht abgesaugt. Sonst wäre sie tot. Als sie sie wiedergefunden haben, hatte sie verbundene Augen, Watte in den Augenhöhlen und einen Fünfzig-Dollar-Schein in der Unterhose.«
»Gott im Himmel!« Firmina standen die Tränen in den Augen. »Fünfzig Dollar für die Augen …«
»Es heißt, manchmal nehmen sie auch das Herz oder die Nieren, und in São Paulo, da gibt es Luxusrestaurants, wo den Polizisten und Soldaten Menschenfleisch vorgesetzt wird.«
»Das darf nicht sein«, sagte Onkel Zé finster. »Das kann ich nicht glauben … Wenn das stimmt, ist alles aus … nichts mehr …«
»Nur keine Angst, Zé! Ich pass schon auf! Wenn ich irgendwann einen Nissan Patrol sehe, den stecke ich in Brand! Mitsamt den Arschlöchern darin …«
Als er schwieg, zuckte der grässliche Tick, der seinen Mund entstellte, noch eine Weile weiter. Dona Firmina bekreuzigte sich abermals, um ihn zu vertreiben.
14 . Kapitel
Der Vier-Ströme-Brunnen: Wie Kircher seinen Verleumdern den Mund stopfte. Auch wird behandelt die Symbolik von Schatten und Licht.
B ernini war ein regsamer, vorausschauender und äußerst höflicher Mann, trotz einer Neigung zum Aufbrausen, die von seinem gewaltigen Talent nicht gerechtfertigt wurde, doch half es, ihm diesen Nachteil zu verzeihen. Er war klein & von gedrungener Statur, stets schlicht gekleidet, sprach nur wenig & galt denen, die sich nicht in dem seltenen Genusse seiner Freundschaft befanden, als Hypchonder. Wenn er aber seine natürliche Schüchternheit überwand, sprach er ungehindert, ja, plauderte so liebenswürdig, dass er alle
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