Wo Tiger zu Hause sind
ringsum mit der Phantasie & Heiterkeit seines Geistes bezauberte. Ihn überzeugte Kirchers profundes Wissen und diesen wiederum die Geschicklichkeit, welche Bernini in seiner Kunst entfaltete. Beide Männer fassten alsbald Freundschaft zueinander, was den Plänen für den Brunnen höchlichst zugutekam.
Nach einigen Wochen der Vorarbeit präsentierte Kircher Bernini & dem Papst einen ersten Entwurf, der auf einer Skizze von Francesco Borromini fußte. Die vier Gegenden der Welt sollten durch die vier größten bekannten Ströme versinnbildlicht werden, welche zugleich auf höchst originelle Weise die vier Urströme des irdischen Paradieses darstellten. Ganges, Donau, Nil und Rio de la Plata sollten in Form von kolossalen Marmorfiguren auftreten, ein jeder von emblematischen Tieren begleitet. Der Obelisk in der Mitte des Brunnens sollte ganz allein alle Theologie & heiliges Wissen verkörpern. Auch regte Kircher an, die
Aqua Vergine
, das beste Wasser Roms, an diesen Ort zu leiten & dem Brunnen solchermaßen eine Aura der Reinheit zu verleihen.
Diese Vorskizzen wurden heftig diskutiert, & mein Meister musste seinen Entwurf Punkt um Punkt verteidigen. Doch wurde er dann ohne jede Veränderung akzeptiert, & Bernini begab sich allsogleich an die Planskizze einer Komposition, die des Marmors und des Meißels würdig wäre. Es blieb indes ein praktisches Problem zu lösen: die Restauration des Obelisken, sein Transport zur Piazza Navona, seine Errichtung alldort sowie die Entzifferung der Inschriften. Der im Zirkus des Maxentius gefundene Obelisk befand sich in sehr schlechtem Zustand. Seit Jahrhunderten den Unbilden der Witterung ausgesetzt, war er umfänglich beschädigt. Tagelang streiften wir um die steinerne Nadel herum und suchten nach Bruchstücken. Leider fanden wir nicht genügend, um die uns interessierenden Inschriften zu vervollständigen. Zudem waren manche noch vorhandene Hieroglyphen durch die Zeit abgeschliffen, was zu der Frage führte, ob wir sie mit Hilfe einer Geistesanstrengung ergänzen oder die genannten Lücken hinnehmen sollten. Die erste Lösung erschien Athanasius wo nicht unmöglich, so doch ungeheuer schwierig.
Also wandten wir uns an alle Antiquitätenhändler der Stadt, um mit Mitteln von Innozenz X. möglichst viele beschriftete Fragmente des Obelisken zu erwerben. So brachte Kircher eine ganz Reihe davon zusammen, doch geriet er auch an Händler, die so dreist waren, meinem Meister weder das Stück noch auch nur eine Kopie zu verkaufen. Dank einer Indiskretion von Monsignore Manfredo Settala erfuhr ich, dass dies nicht auf Gewinnstreben fußte, sondern der Heimtücke derer entsprang, die am Können meines Meisters zweifelten & ihn auf diese Weise dazu herausforderten, die Hieroglyphen selbst zu ergänzen. Sodann, so vermeinten sie, würden sie seine Hochstapelei entlarven, indem sie seine Figuren mit den zurückbehaltenen vergleichen würden …
Ich setzte Kircher & Bernini von dieser Kabale in Kenntnis. Der Bildhauer geriet in heftigen Zorn, & er wütete ob dieses Ungehorsams gegenüber dem Papst und ob der schändlichen Machenschaften. Kircher selbst blieb nachdenklich.
»Vielleicht«, so sagte er schließlich, nachdem wir in ihn gedrungen waren, »vielleicht ist es besser, die wenigen Lücken dieser Inschrift so zu belassen … Nicht, dass ich die Herausforderung scheuen würde, die mir diese niederträchtigen Gelehrten bescheren, doch die Rekonstruktion eines Textes ist noch eine ganz andere Sache als eine Übersetzung. Wie in jeder anderen Sprache können manche Zeichen dasselbe bedeuten, mit kleinen Nuancen Unterschied: Stellt Euch vor, ich irre mich, und sei es auch nur ein wenig, schon würde der Skandal nicht nur mich entehren, sondern die Kirche insgesamt treffen & vielleicht sogar das Ansehen mindern, das unser Orden beim Papst genießt …«
Bernini jedoch beschwor meinen Meister in derart freundschaftlichen, vertrauensvollen & glühenden Worten, seine Verleumder zu widerlegen, dass er ihn schließlich überreden konnte. Kircher fertigte Kopien aller Zeichen auf dem Obelisken & den von uns gesammelten Bruchstücken an, sodann schloss er sich in seinem Arbeitszimmer ein. Bernini seinerseits ließ den Obelisken in eine Vorrichtung bringen, in der er horizontal drehbar war, und begann die Löcher zu restaurieren. Um ihn nicht zu entstellen, verweigerte er die Verwendung von Zement & sogar sämtlicher Eisenklammern, sondern schnitt in einem dem Original
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