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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Zylindern betrieben. Der Oberst hatte dafür gesorgt, dass diese Mühle erhalten blieb und weiter mitten in dem Hangar stand – »Ein Mahnmal für großen Hubraum«, pflegte er jedes Mal zu scherzen, wenn er Neulingen den Mechanismus vorführte, und dabei tat er so, als falle ihm das Bonmot gerade erst ein. Sternförmig um die alte Mühle herum waren rund zwanzig Oldtimer aufgebaut, unter Halogenlampen funkelnd, die sie ausleuchteten wie im Museum. Rote Teppiche waren zwischen den Automobilen ausgelegt. Eine kleine Gruppe von Besuchern, unter denen eine Reihe asiatischer Gesichter auffielen, umringten die hochgewachsene Gestalt des Gouverneurs.
    »Kommen Sie!«, rief dieser, als er die beiden erblickte. »Ich habe mich schon gefragt, wo Sie bleiben!«
    Und als sie bei ihm standen, neben einem strahlend schönen ocker- und cremefarbenen Coupé, dessen Tönung an gewisse etwas schmierige zweifarbige Schuhe erinnerte, meinte er:
    »Monsieur von Wogau, das hier dürfte Sie interessieren … Ich zeige gerade eines der schönsten Stücke meiner kleinen Sammlung: einen Panhard et Levassor von 1936 « – er bemühte sich übertrieben, den Namen französisch auszusprechen, mit einem unfreiwillig komischen Ergebnis. »Der
Dynamic
mit Freilauf, vier Gängen, Automatik-Getriebe und Blattfeder-Aufhängung … Drei parallele Scheibenwischer, die Scheinwerfer in der Karosserie integriert und – Mittellenkung, bitte sehr! Das Beste, was bei Ihnen zu Hause gebaut wurde!«
    »Höchstgeschwindigkeit?«, fragte eine näselnde Stimme.
    »Einhundertvierzig Stundenkilometer,
eighty-seven miles an hour
«, prahlte der Gouverneur, als verkünde er einen Börsengewinn. »Und achtzehn Liter auf hundert Kilometer«, gestand er Loredana gespielt schuldbewusst, doch mit einem Lächeln, dem man ablesen konnte, dass er auf diesen Verbrauch ebenso stolz war wie auf die Höchstgeschwindigkeit.
    »Tut mir furchtbar leid«, sagte Loredana, »aber ich habe für so etwas keine Ader. Allenfalls ästhetisch. Ich habe nicht mal einen Führerschein, müssen Sie wissen, also hab ich mit Autos nicht so viel im Sinn …«
    Der Gouverneur war verblüfft.
    »Das muss man sich mal vorstellen«, er wandte sich an die Umstehenden wie an Zeugen, »die junge Dame hat keinen Führerschein! Und das als Italienerin!«
    Ein junger Mann mit dem Äußeren eines Mormonenmissionars übersetzte seine Worte ins Englische, was bei den einen höfliche Heiterkeit und seitens der Asiaten mit etwas Verspätung ulkige Verbeugungen bewirkte.
    Eléazard zuckte zusammen, als er eine Hand auf seiner Schulter spürte. Er drehte sich um und blickte in das strahlende Gesicht des alten Euclides:
    »Jetzt sind Sie am Zug, mein Freund«, raunte er ihm zu und schaute dabei so drein, als interessiere er sich für die Konversation. »Interessante Leute hier … Pentagon, sagt Ihnen das was?« Und mit dem Blick deutete er auf zwei Männer mit graumelierten Schläfen, zwei glatte Schönlinge, die in einen Werbespot für ein billiges Rasierwasser gepasst hätten.
    Eine unwiderstehliche Lust auf eine Zigarette quälte Eléazard plötzlich. Nicht, dass die verborgene Macht dieser beiden Männer ihn einschüchterte oder auf eine explosive Enthüllung hoffen ließ – eine solche aasgeierhafte Haltung hatte ihn am modernen Journalismus immer angewidert –, aber auf einmal war er sicher, dass hier nicht mit offenen Karten gespielt wurde. Nichts deutet so zuverlässig auf die bevorstehende Entdeckung der Wahrheit hin wie die Diagnose der Fälschung, dann scheint ein Beweis dafür greifbar, dass nichts das ist, wofür es sich ausgibt: System, Theorie, aber auch körperliche Erscheinung, das ehrenhafte Auftreten eines Mannes und seiner Worte. Eléazard spürte geradezu das Frohlocken eines Inspektors, der gleich jemanden wird überführen können, den er schon lange als schuldig angesehen hat.
    Mit geschärften Sinnen lauschte er dem liebenswürdigen Schwadronieren des Gouverneurs. In der Rhetorik des begeisterten Sammlers, aber nicht ohne Brillanz, rühmte Moreira die Kurven des Panhard, das Finish, die Linie,
nicht feminin, das hieße die Frauen beleidigen
, sondern animalisch, fleischlich, organisch … Schöne Automobile wiesen weit über den schlichten Begriff der Fortbewegung hinaus, Kultobjekte seien sie, magische Skarabäen, reine Talismane, denen bestimmt, die von ihrem Durst nach Fortschritt, nach Macht und nach Beherrschung der Dinge unerbittlich vorangetrieben

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