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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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etwas zeigen.«
    Wir setzten die Platte am Boden ab, & Kircher gebot mir, in den Trog hineinzublicken. Zu meiner großen Überraschung stellte ich fest, dass er keinen Boden hatte & sich einem Brunnen gleich auf tiefste Dunkelheit öffnete.
    »Über diesem Brunnen der Dunkelheit befand sich der heilige Kelch, das leuchtende Gefäß, in welchem sich die erhabene Transsubstantiation ereignet. Hier, am Saume von Schatten & Licht, wurde der Wein wieder zu Blut, die Oblate zu Fleisch, in einem erneuerten Opfer. Tag & Nacht versöhnten sich in der Person Christi, um das kosmische Gleichgewicht zu wahren … genau an diesem Orte, Caspar, genau hier!«
    Kircher hatte die Stimme erhoben, & mit seinen letzten Worten warf er die Fackel in das gähnende Loch. Nach kurzem Fall landete sie in einem Funkenregen einige Fuß unterhalb und brannte am Boden ein wenig schwächer weiter. Mir stockte das Herz, meine Knochen erstarrten: Unter dem Altar, genau senkrecht darunter, schien der Gott Mithras in den gedämpften Flammen sich langsam zu regen.
    »Ist das nicht großartig?«, murmelte Kircher begeistert. »Zarathustra, Hermes, Orpheus & die griechischen Philosophen, welche dieses Namens würdig waren, ich meine die Schüler der ägyptischen Weisheit, glaubten alle an einen einzigen Gott, an jenen, dessen vielfache Tugenden & Vollkommenheiten die ägyptischen Priester durch Isis, Osiris & Harpokrates darstellten, in einer für uns rätselhaften Weise.«
    »Die Trinität?«, wagte ich bebend zu fragen.
    »Ja, Caspar. Osiris, der höchste Intellekt, Archetypus aller Wesen & Dinge; Isis, seine Vorsehung & Liebe; aus ihrer beider Tugenden entsteht Harpokrates, nämlich Horus, als ihr Kind, will sagen die spürbare Welt & jene bewundernswerte Harmonie, der perfekte Zusammenklang des Kosmos, den wir alltäglich um uns herum beobachten. Es ist also offenkundig, dass die heiligmäßige & dreifach gebenedeite Trinität, das größte & dreifach erhabene Mysterium der Christenheit zu anderen Zeiten unter dem Schleier der esoterischen Mysterien angebetet wurde. Denn die göttliche Natur bleibt gern verschleiert, sie verbirgt sich in Sinnbildern und Gleichnissen vor den Sinnen der einfachen, profanen Menschen. Aus diesem Grunde führte Hermes Trismegistos die Hieroglyphen ein und wurde dadurch Fürst & Vater der gesamten ägyptischen Theologie & Philosophie. Er war der Erste und Älteste der Ägypter, der erste, der auf treffliche Weise über die göttlichen Dinge nachdachte & seine Erkenntnisse für die Ewigkeit auf zyklopische & unsterbliche Steine ritzte. Dank seiner erhielten Orpheus, Musaios, Linus, Pythagoras, Platon, Eudoxos, Parmenides, Plotin, Melissos, Homer, Euripides & so viele andere eine wahre Erkenntnis von Gott und den göttlichen Dingen. Er sagte als Erster in seinem
Poimandres
 & seinem
Asklepius
, dass Gott Einer & Güte ist; die anderen Philosophen folgten ihm lediglich & meist mit weniger Glück …«
    Angesichts der Konsequenzen einer solchen Weltsicht wollte mir der Kopf zerspringen, das gebe ich zu. Kircher hatte es unerschrocken gesagt: Es gab weder Heidentum noch Polytheismus, sondern eine einzige Religion, die der Bibel & der Evangelien, wenn auch mehr oder weniger von dem Unwissen & der List jener verstellt, die daraus Gewinn zu schlagen trachteten. Folglich war es nicht mehr vonnöten, die Ungläubigen von der Überlegenheit des Christentums über ihren Glauben zu überzeugen, sondern es genügte ganz im Gegenteil, die bislang verborgen gebliebene Identität beider aufzuzeigen & dies durch nichts als Logik, durch die ältesten Texte & die Kunde von den Hieroglyphen. Endlich kamen Klugheit & Historie dem Licht des Evangeliums zu Hilfe, um den unermüdlichen Eifer unserer Missionare zu unterstützen …
    »Das ist wunderbar!«, rief ich aus, geblendet von meinem Meister & wie ebenfalls von jener göttlichen Gunst getroffen, deren er teilhaftig war.
    »Ich bin bloß Werkzeug«, entgegnete er, »& Dank schulden wir nur unserem Schöpfer. Doch nun komm, ich will meine Demonstration vollenden.«
    Wir stiegen dieselbe Treppe weiter hinan, über die wir hergekommen waren, & gelangten rasch in einen so hellen Raum, dass unsere Fackeln überflüssig waren. Noch um einige wenige Ecken, und wir traten ins Querschiff einer Kirche, die ich allsogleich erkannte.
    »Ja, genau«, sagte Athanasius, »San Clemente in Laterano … unter dieser schlichten Seitenkapelle befinden sich die Mysterien, in die

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