Wo Tiger zu Hause sind
nicht hierlassen.«
»Schluss mit den Geschichten«, entgegnete Detlef gelassen. »Ich habe schon alles bedacht, ihr werdet sehen, ich komme bestens allein zurecht!«
»Wir haben nein gesagt!«, beharrte Elaine. »Das wäre Irrsinn!«
»Lass uns morgen früh wieder darüber reden«, unterbrach Detlef sie. »Ihr packt bis dahin eure Rucksäcke, ich sage euch genau, womit. Und nichts heimlich dazutun, ja!«
Nachdem sie Detlefs Angaben gemäß ihr Gepäck vorbereitet hatten, waren Elaine und Mauro wieder an Deck gekommen. Eine weitere Morphiumspritze erlaubte es ihr, die Verletzung des Geologen zu reinigen und den Verband zu erneuern. Dann versuchte sie, ein wenig zu essen. Doch da schon der erste Bissen ihr im Mund aufzuquellen schien, sagte sie zu Mauro, sie wolle lieber schlafen, und legte sich neben Detlef.
Eine sehr lange halbe Stunde über lag sie da, beharrlich auf die Überzeugung konzentriert, dass sie keinen Schlaf würde finden können. Als das zur Gewissheit wurde, war sie wieder ganz wach, umgeben von der nächtlichen Geräuschkulisse des Dschungels: Immer wieder dieselben gutturalen Rufe, mehr oder weniger weit vom Fluss entfernt, dieselbe entnervte Polyphonie der Ochsenfrösche, dieselben unidentifizierbaren Stimmen, deren Ähnlichkeit mit bekannten Lauten – Kastagnetten, tropfendes Wasser, Trillerpfeifen – sie noch verwirrender machte. Und in den kurzen Momenten der Stille Detlefs konvulsivisches Schnarchen und Mauros langsame Atemzüge.
Der Todesschrei eines Tieres ließ sie zusammenfahren. Morgen, dachte sie, würden sie sich all diesen Phantomen stellen müssen, gewappnet mit nichts als einem Kompass. Tief in ihr drin hoffte etwas, dass Petersen sie zwingen würde, auf dem Schiff zu bleiben. Detlef schlief unruhig, er wimmerte wie ein fieberndes Kind.
»Elaine, schlafen Sie?«, flüsterte Mauro.
»Nein, ich kann nicht.«
»Was quält Sie?«
»Na, du bist lustig«, lachte sie ironisch, »wir werden mit dem Maschinengewehr beschossen, einer von uns kommt ums Leben, Detlef ist schwer verletzt, wir sitzen mitten im Pantanal mit einem Schweinehund fest, der alles tut, um uns hier verfaulen zu lassen … und du fragst, was mich quält?«
»Ich weiß, dass es noch etwas anderes gibt. Sagen Sie die Wahrheit.«
Da diese Aufforderung ins Schwarze traf, blieb Elaine stumm. Dieser Junge verblüffte sie immer wieder. Die Wahrheit … Ihr neues Leben hatte nicht den Hoffnungen entsprochen. Kein anderer Mann – ein paar blasse Gestalten zogen vor ihren Augen vorüber – reichte Eléazard auch nur bis zum Knöchel. Nicht einmal Detlef, so zärtlich-komisch, so brillant, hatte ihr erlaubt, diesen Mann zu verdrängen, vor dem sie Hals über Kopf geflohen war, in einem letzten freiheitssuchenden Reflex. Und um wo zu landen, mein Gott? Bei dieser Angst, auf ewig mit diesem Schatten koexistieren zu müssen, diesem verstohlenen Selbstekel?
»Die Wahrheit«, sagte sie auf einmal leise, »ist, dass ich Angst habe. Panische Angst davor, was der morgige Tag uns bringt … Hast du etwa keine Angst?«
Mauro antwortete nicht. Elaine schloss lächelnd die Augen. Sie passte ihren Atemrhythmus dem des jungen Mannes an und ließ sich ebenfalls vom Schlaf davontragen.
In der Morgendämmerung schlängelten sich Dunstschwaden über dem Fluss, gierig bereit, sich an der kleinsten Erhebung festzuklammern, um ihre vergängliche Existenz zu erhalten. Die Räuber und Opfer der Nacht waren irgendwann endlich verstummt; ihre Nachfolger schliefen noch. Eine kurze Zeitspanne in der Schwebe, während der nur die Eigengeräusche des Flusses – jähes Klatschen, gedämpftes Plätschern, kurzes Schwappen, träge Rülpser des Schlamms – die morgendliche Stille durchbrachen. Herman kam nur mühsam zu sich, so einen Kater hatte er. Als ersten Reflex suchte er Yurupig, um ihn zum Kaffeemachen abzukommandieren. Es überraschte ihn kein bisschen, ihn vorn am Bug hocken zu sehen, den Blick auf den Dschungel gerichtet; er war schon daran gewöhnt, dass der Indio nie zu schlafen schien, es war schier übermenschlich. Als würde er im Wachen schlafen, wie Pferde, wie manche Haie, die nie stillstehen, weil sie ihre Organe Tag und Nacht mit Sauerstoff versorgen müssen.
Petersen stieg zum Steuerhaus hoch, um die wenigen Instrumente zu holen, die für den Weg durch den Dschungel unentbehrlich waren: Kompass, Fernglas, zwei Signalraketen, die in einer Schublade vor sich hin moderten. Diese Dinge tat er zur Kalaschnikow
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