Wo Tiger zu Hause sind
Fünfzigtausend Dukaten für ein Pfund persischen
zingars
& zehn Unzen Tausendfüßler-Pulvers; fünfundzwanzigtausend Dukaten für Rubinschwefel, Auripigment & Indigo; dieselbe Summe für einen kleinen Bezoar-Stein aus dem Magen eines Lamas; einhunderttausend Dukaten für Tacamahac-Harz, turkestanisches Salz & Alaun; dazu allerlei gewöhnlichere, doch kaum weniger teure Materialien, als da wären Rotzinnober, Mumienpulver, Rhinozeroshorn, frischer Sperberkot oder Wolfshoden … So groß es auch war, schrumpfte des Sinibaldus Vermögen doch beträchtlich, & wie durch eine Wirkung der göttlichen Vorsehung wuchs das Blauenstein’sche in demselben Maße.
Während der Reisen des Alchimisten – angeblich auf der Suche nach den unentbehrlichen Zutaten, in Wahrheit, um das bei dem Handel abgezweigte Geld beiseitezuschaffen – hatten Mei-Li und Sinibaldus den alchimistischen Ofen zu versorgen & die langsame Sublimation von Schwefel & Quecksilber zu überwachen. Wegen der Hitze im Labor zeigte die junge Chinesin sich ausschließlich in einem dünnen Seidengewande, das bei der geringsten Bewegung aufklaffte & unabsichtlich-absichtsvoll begehrenswerte Reize freilegte. Ihr von zarter Hand gekämmter & hochgebundener Haarzopf war mit Perlen besetzt & von einem seidengefütterten Bambushäubchen gekrönt, von dem eine Troddel roter Fäden herabbaumelte. Solchermaßen durchscheinend mehr aus- denn angezogen, warf sie sich mit allerlei Windungen des Leibes vor einem Altärchen zu Boden, das sie selber aufgebaut hatte & wo Christus neben den scheußlichen Götzen ihrer Heimat thronte; & stets, um die Gunst des Himmels für das Hohe Werk zu beschwören, ergab sie sich schamlos lasziv-wollüstigen Tänzen …
Nicht lange, und der arme Sinibaldus war den Reizen dieser falsch Sittsamen erlegen. Keine drei Monate, nachdem er den Teufel in sein Haus gebeten, halb ruiniert, ganz liebeskrank, die Sinne in Aufruhr dank des kurtisanenhaften Gebarens, hätte er für einen einzigen Kuss sein Seelenheil gegeben. Doch hielt die Schelmin zwar seine Leidenschaft durch tausenderlei neue Verlockungen am Brennen, gönnte ihm jedoch nicht die kleinste Vertraulichkeit: Sie schien einzig dazu geboren, mit ihrer Ziererei zu zeigen, wohin die Gelüste der ungezügelten Natur führen können, wenn Geldgier & Berechnung hinzukommen.
Diese Machenschaften hielten an, bis das Opfer schlachtreif schien & am Abend des Johannistages Blauenstein verkündete, das Hohe Werk trete nunmehr in seine letzte Phase. Sämtliche Zutaten wurden mit größter Sorgfalt bemessen, gefiltert, dekantiert & sodann dem Gebräu aus Schwefel, Quecksilber & Antimon beigegeben, das schon lange in dem Tiegel köchelte.
»In zwei Wochen, auf den Tag und auf die Stunde genau«, sagte der Alchimist, »wird die Mischung zu der von den Alten gepriesenen erhabenen Vollkommenheit gelangt sein. Dann muss diese Flüssigkeit nur noch mit dem Bezoar-Stein vermischt werden, & Ihr werdet vor Euren eigenen Augen jenen sagenhaften ›Grünen Löwen‹ entstehen sehen, jenes Wunder, das Reichtum & Unsterblichkeit beschert! Doch ist der alchimistische Prozess nicht nur eine Frage der Reinigung unbelebter Materie, er verlangt nach einer ebensolchen Purifikation von Leib & Geist, ohne welche uns das abschließende Wunder verwehrt bliebe. Zu diesem Behufe werde ich mich mit dem Bezoar in ein Kloster zurückziehen, um die zwei Wochen über unausgesetzt zu beten. Meine Gattin, von ihrem Bruder in die höchsten göttlichen Geheimnisse eingeweiht, wird das alchimische Gefäß allein bewachen. Ihr indessen, werter Freund & Wohltäter, werdet Euch auf Euer Zimmer zurückziehen, um ebenfalls zu beten & zweimal täglich Mei-Li zu bringen, was sie zum Leben benötigt. Der kleinste Verstoß gegen diese Regeln würde unsere Hoffnungen auf ewig zunichtemachen …«
Tief bewegt von dieser Rede, schwor Sinibaldus, so zu handeln, wie der Alchimist es gebot, & es weder an Kasteiungen noch an Gebeten fehlen zu lassen, um seine Seele zu reinigen.
Den Rest der Nacht verbrachte Blauenstein damit, das Labor zu »richten«: Im Beisein seiner Frau & des Sinibaldus, beide kniend, zeichnete er auf Boden & Wände allerlei magische Fünfecke, um Dämonen den Zugang zu dem Raum zu wehren, rezitierte allerlei Formeln aus der chinesischen Kabbala & beschwor den Schutz von mindestens drei Dutzend »sephirotischer Geister« für den Ofen herbei. Wie er in den dichten Wolken des Weihrauchs, den er
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