Wo Tiger zu Hause sind
vollführen, die schlicht und einfach an Wunder grenzten. Ratlos hatte er nach Frankreich geschrieben, um sich ein Buch schicken zu lassen, das seinen Ansprüchen genügen könnte.
Als Antwort hatte Malbois ihm ein schönes Exemplar des einzigen Buchs geschickt, das Robert Houdini je verfasst hatte, dazu eine Einführung namens
Grundlagen der Zauberkunst
, die aussah wie ein Sprachführer in Zeichensprache, denn sie war voller Ilustrationen von Händen und Gaukeleien. Beide Autoren sagten klipp und klar, dass nur langjähriges Training der Fingerfertigkeit und eine perfekte Beherrschung der Gesten eines Tages zu wahrer Meisterschaft führen kann. Eléazard folgte also diesen Prinzipien, indem er gewissenhaft Mal ums Mal detailgenau die Übungen dieser Gymnastik wiederholte, die, so fand er, denen der Selbstverteidigungskünste nicht unähnlich war.
Moémas Brief hatte ihn verstimmt. Nicht das Geld war das Problem – er gab so gut wie nichts für sich selbst aus –, aber er mochte die Sorglosigkeit seiner Tochter nicht billigen. Dass sie ihm nur schrieb, weil sie etwas von ihm wollte, nun gut, auch wenn es ihn schmerzte; schließlich und endlich war es seine Aufgabe als Vater, das Kind zu unterstützen, das in die Welt zu setzen man egoistisch genug gewesen ist. Aber eine Kneipe! Und das, wo Moéma nicht mal ihr studentisches Monatsbudget einteilen konnte! Lieber hätte er sich etwas für Reisen oder für neue Kleider abbetteln lassen, warum auch nicht, das liegt in der Natur der Dinge und ihres Alters, aber jedes Mal erfand sie ein noch hoffnungsloseres Projekt als zuletzt. Das Schlimmste war, sie schien an dieses Kneipenprojekt ebenso fest zu glauben wie vor zwei Monaten an die Modelkarriere, zu der ihr »alle Türen offen standen« und von der er kein Tönchen mehr gehört hatte. ›Dreitausend Dollar für das Pressbook und Unkosten … was für Kindereien!‹, dachte er lächelnd, doch wieder von Moémas Naivität gerührt. Oder vielleicht komme ich allmählich meinem Verfallsdatum nahe: Wenn man anfängt, die Jugendtorheiten zu kommentieren, um sich über sie zu ereifern oder auch nur, um sie zu verzeihen, dann heißt das, man ist selbst alt geworden. Also Geduld. Er hatte an diesem Morgen einen Scheck geschickt und würde den Launen seiner Tochter weiter nachgeben, bis sie imstande wäre, auf eigenen Füßen zu stehen. Das war die einzige Möglichkeit, dafür zu sorgen, ihr nie das Gefühl zu geben, etwas versäumt zu haben, sei es wegen anderer oder des Geldes wegen, und damit sie eines Tages ihr Dasein selbst in die Hand nahm, in eigener Verantwortung. Musste es nicht so gehen, damit jemand
werden
konnte?
Ein jähes Hungergefühl überraschte ihn mitten in dieser ernüchternden Betrachtung. Er bekam Lust, Leute zu sehen und sich zu unterhalten, und beschloss esssen zu gehen.
Soledade nahm diese Nachricht mürrisch auf; sie hatte das Abendessen bereits fertig zubereitet. Eléazard versuchte vergeblich, sie aufzuheitern, sie gönnte ihm nicht mehr als eine verächtliche Schnute, dann zog sie sich in die Küche zurück. Im Vorübergehen warf er einen Blick auf den Herd, wo ein Omelett in Öl schwamm: Sie hatte ihm zu Gefallen eines der Gerichte zubereitete, die Raffenel ihr hatte beibringen wollen. ›Kein besonders guter Lehrer‹, dachte er beim Blick auf den Pfanneninhalt, ›es sei denn, sie ist einfach untalentiert.‹ Ratlos zuckte er mit den Schultern.
Der Abend brach über Alcântara herein, ein beängstigendes Dämmergrau, dichter und schwärzer als die Wolkendecke, die den Nachmittag verdunkelt hatte. Für die Nacht drohte Regen. Eléazard beschleunigte den Schritt, stets achtsam den Mistfladen der Zebus ausweichend, die hier und da wie Trittfallen auf den schlecht gepflasterten Sträßchen lauerten. Hinter der Igreja São Matías bog er nach links ab und befand sich bald in der Rua da Amargura, der Straße der Bitternis, so benannt, da der Vicomte Antônio de Albuquerque, der frühere Eigentümer des Palastes, an dem Eléazard nun entlangging, seine Sklaven in den Straßendreck zu beordern pflegte, damit seine Gattin samt Töchtern sich trockenen Fußes zum sonntäglichen Gottesdienst begeben konnte. Löchrige Wäsche hing zum Trocknen in den großen Fenstern. Ein zerstörerisches Kraut trachtete das Gebäude Stein um Stein zu zerlegen; nur noch wenige rissige Reste blieben von den schönen blau-weißen
Azulejos
, den Kacheln, die früher die Fassade des prunkvollen Hauses geziert hatten.
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