Wo Tiger zu Hause sind
Journalist«, korrigierte ihn Eléazard. »Korrespondent ist etwas anderes.« Zumindest war es das in seinem Selbstbild, aber er bereute diese instinktive Koketterie sofort wieder und berichtigte abermals: »Allerdings auch eine Art Geier.«
»Du bist zu hart mit dir selbst«, meinte Alfredo betrübt, »und mit deinem Beruf auch. Ohne dich, ohne Journalisten, wer wüsste da schon, was hier vorgeht? Aber gut. Sie heißt Loredana, ein tolles Mädchen, ich sag’s dir! Wenn ich nicht verheiratet wäre … Eijeijei …«
Wozu er komplizenhaft zwinkerte und mit den Fingern schlackerte.
»Das musst du mir irgendwann mal beibringen.«
»Ist ganz einfach«, erklärte Alfredo. »Schau: Du lässt die Hand ganz schlaff hängen, das ist das Geheimnis, und dann schüttelst du sie, als ob du sie loswerden wolltest, und schon klatschen die Finger aneinander wie Kastagnetten.«
Unter Alfredos amüsierten Blicken versuchte Eléazard erfolglos, es ihm nachzumachen. Er gab auf, als Eunice mit einem Tablett erschien.
»Guten Abend, Lazardinho.« Sie stellte einen Teller mit panierten Garnelen vor ihn hin und beugte sich hinab, um ihn freundschaftlich auf beide Wangen zu küssen: »Du hast dich ja schon ewig nicht mehr blicken lassen, du Gauner!«
»Seit zwei Wochen«, verteidigte sich Eléazard, »nicht mal, seit genau zwölf Tagen!«
»In der Liebe rechnet man nicht. Aber gut, dir sei verziehen. Probier mal diese Köstlichkeit!« Sie deutete auf die Garnelen.
»Herrlich, wie immer«, antwortet Eléazard mit vollem Mund.
»Gut, ich lasse dich essen.«
»Ich auch.« Alfredo erhob sich auf einen diskreten Wink seiner Frau.
»Nein, nein, bleib doch. Bitte, sei so lieb, Eunice, bring uns noch einen Teller Garnelen und eine Flasche Weißwein.«
Demonstrativ zufrieden lächelnd, setzte sich Alfredo wieder und ließ sich nicht zweimal bitten, als sein Gast ihn einlud, sich zu bedienen. Die Garnelen waren geschält bis auf den Schwanz, der aus der Panade heraussah; man aß sie mit der Hand und stippte sie in eine Art sehr scharf gewürzter roter Mayonnaise. Ein Hochgenuss.
Alfredo lenkte das Gespräch bald auf ein Projekt der Regierung, die im nahen Dschungel eine Raketenabschussbasis errichten wollte. Bislang gab es dazu nichts als ein paar bruchstückhafte Informationen, die ein kommunistisches Blatt aus São Luís,
A Defesa do Maranhão
, unter Schwierigkeiten zusammengetragen hatte, doch schien ausgemacht, dass staatliche Stellen beschlossen hatten, die Halbinsel von Alcântara den »höheren Interessen der Nation« zu opfern, wie der Leitartikler der Zeitung zwischen überdeutlich ironischen Gänsefüßchen geschrieben hatte.
»Das musst du dir mal vorstellen«, sagte Alfredo angewidert, »Raketen! Die Leute verhungern auf der Straße, die Schulden haben das Land derart im Würgegriff, dass wir bald nur noch für die Wucherer vom Internationalen Währungsfonds arbeiten, und jetzt wollen wir Raketen abfeuern! Dahinter stecken sicher wieder die Amis. Aber wir wehren uns, das kannst du mir glauben! Sonst ist es mit Alcântara vorbei …«
Eléazard mochte Alfredos rebellisches Temperament, auch bei seiner Tochter schätzte er es, wenn auch nur insgeheim, im Verborgenen, ohne in sich selbst den unschuldigen Kern wiederfinden zu können, der ihm erlaubt hätte, beider Optimismus zu teilen. Freilich konnte er die Empörung, die Alfredos Stimme beben ließ, nachvollziehen und begriff die Gründe für seinen Zorn und seine Entschlossenheit, konnte aber keinen Moment daran glauben, dass es möglich sein sollte, den Lauf der Ereignisse auch nur irgend zu beeinflussen. Nicht, weil er zum Fatalisten geworden wäre, jedenfalls hielt er sich selbst nicht dafür, und auch nicht für reaktionär oder konservativ, ihm war nur jene spezielle Art der Hoffnung abhandengekommen, die es braucht, um Berge zu versetzen oder es wenigstens zu versuchen. Auch wenn er das nicht als Resignation sah, betrübte es ihn doch. Doch wie das Gefühl der Hellsichtigkeit festhalten, wenn es uns dummerweise umschmeichelt! Er fand, dass alle Menschen von Natur aus dem Mittelmaß zustrebten, und der Unglückliche, der zu diesem Urteil gefunden hat, kann nichts mehr ausrichten gegen die zahllose Menge derer, die es rechtfertigen. Alfredo war kein wirklicher Freund und würde es wohl nie werden; also behielt Eléazard diese extreme und ansteckende Hoffnungslosigkeit für sich, die man nur im Schutz der Freundschaft äußern kann und darf.
In Sachen Raketen
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