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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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seinem Versteck kriechen konnte. Er riskierte einen Blick über die Motorhaube und sah den Händler und den Abgeordneten hinter der Glastür des Büros wild gestikulierend im Gespräch. Beruhigt begab er sich unbemerkt in den Teil des Ladens, der als Werkstatt diente, und ließ dort aus einem geöffneten Werkzeugkasten neben einem in Reparatur befindlichen Wagen eine Metallfeile mitgehen, bevor er den Laden verließ.
    Ohne Zwischenfälle gelangte er wieder auf den Bürgersteig und spürte unter den Fingern den beruhigenden Kontakt mit dem aufgeweichten Asphalt.
    Die bunt geschminkte Rentnerin, die in diesem Moment seinen Weg kreuzte, schrak zusammen und blieb wie angenagelt vor ihm stehen. Der winzige Köter an ihrer Leine kläffte los, mit gebleckten Zähnen und gesträubtem Rückenfell. Mit einem Fausthieb verwandelte Nelson das hysterische Gebell in ein schrilles Winseln.
    »Não sou cobra, mas ando todo envenenado!«
, warnte er drohend und reckte herausfordernd das Kinn zu der entsetzten Passantin.
    Und während sie floh, ihr Hündchen im Arm, platzte er mit einem großartigen Lachen heraus und pisste ausgiebig, hier an Ort und Stelle, in der Sonne.

17 . Kapitel
    Wie Kircher Blauensteins Hochstapelei entlarvt.
    D ie schöne Mei-Li begrüßte ihren Gatten, indem sie sich nach Art der Chinesen vor ihm zu Boden warf, doch der Alchimist beachtete sie kaum: Sobald er eingetreten war, wanderte er mit gerunzelten Brauen & besorgten Gesichts von Fünfeck zu Fünfeck. Vorm Altar angelangt, war es, als würden unsichtbare Kräfte ihn daran hindern weiterzugehen, als ahne er, dass dieser Ort der Schauplatz einer Schändlichkeit gewesen … Langsam wandte er sich zu seiner Frau & Sinibaldus um.
    »Hegte ich nicht ein so tiefes Vertrauen zu Euch«, sagte er ernst, »so könnte ich glauben, dass meine Befehle missachtet wurden. In diesem Raum herrscht ein übles Fluidum, das mich schwere Enttäuschungen bei unserem Vorhaben befürchten lässt. Seid Ihr gewiss, alle meine Befehle peinlichst befolgt zu haben? Es wäre tragisch, so kurz vorm Ziel zu scheitern …«
    Sinibaldus war blass geworden. Angesichts der außergewöhnlichen Künste des Alchimisten befielen ihn schreckliche Zweifel, er wankte auf seinen Beinen & schwitzte jämmerlich, umso mehr, als Mei-Li nicht die unbeteiligte Miene zur Schau stellte wie sonst, sondern ebenso höchst verwirrt schien und dreinschaute wie eine Exkommunizierte. Sinibaldus mühte sich, den Alchimisten zu beruhigen, log aber mit so wenig Geschick, dass er selbst die Lücken seiner Verteidigung erkannte & verstummte.
    »Ich werde Euch nicht beleidigen, indem ich Euer Wort in Zweifel ziehe«, sprach Blauenstein weiter, »doch ich kann mich irren … All dies ist rasch und einfach zu prüfen, eine Probe wird mir sogleich den klaren Beweis liefern.«
    Er zog den Bezoar-Stein aus der Tasche & trat vor den Ofen, gefolgt von seiner Frau & Sinibaldus. Dann erhob er den Gegenstand über den Athanor und sprach:
    »Bei Kether, Hokmah, Binah, Hesod, Gevurah, Rahimin, Netsch, Hod, Yesod & Malkuth! Bei den zweiundsiebzig geheimen Buchstaben des Namens Gottes, die ich nunmehr beschwöre, möge dieser höchste Beweis der Reinheit unserer Körper & Seelen das Lebenselixier bereiten!«
    Hierauf warf er den Bezoar in die köchelnde Mischung. Das zu diesem Behuf vorbereitete Gebräu explodierte unverzüglich, versprühte einen Funkenregen & produzierte einen dichten Qualm, der den Ofen den Blicken aller entzog. Während Sinibaldus entsetzt mit lauter Stimme Gott anrief und zum Fenster eilte, um Luft ins Zimmer zu lassen, hantierte der Alchimist unbemerkt am Ofen herum.
    Als man wieder etwas sehen konnte, eilten sie selbdritt hustend und rußgeschwärzt zum Tiegel. Blauenstein jedoch wich allsogleich mit einem Aufschrei zurück … Und als Sinibaldus seinerseits einen Blick darauf warf, meinte er, an Ort und Stelle zu sterben; sein Herz blieb stehen, Todeskälte zog in seine Knochen: Im Athanor wand sich eine lebende Natter! …
    »Verrat! Verrat!«, schrie der Alchimist, das Gesicht wutverzerrt. Sinibaldus hatte sich noch nicht gefasst, da warf sich schon Mei-Li ihrem Gatten vor die Füße, flehte ihn um Vergebung an & schilderte in allen Einzelheiten die in seiner Abwesenheit vorgefallen Schändlichkeiten. Mehr tot als lebendig, restlos verwirrt ob der Hinterlist seiner Peiniger, wäre Sinibaldus am liebsten im Erdboden versunken: Diese Frau, die ihm in den Momenten süßester Verzückung ewige

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