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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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missverständlichen Schweigen der Bilder überlassen wollte … »Von einem Mann, der Caapi genommen hat, sagen wir, er ertrinkt, als würde er in den Fluss zurückkehren, aus dem er gekommen ist, als würde er neu ins Gestaltlose zurücktauchen … Von einem Mann, der beim Verkehr mit einer Frau einen Orgasmus hat, sagen wir auch, er ertrinkt, das bedeutet, er ist in einem Zustand, als hätte er Caapi genommen.«
    Der achte und letzte Ahne war der Priester. Und er entstieg dem Wasser, sein Buch in der Hand, und er war unfruchtbar wie ein kastriertes Schwein. Also befahl der Schöpfer ihm, bei den Weißen zu bleiben, und wir erfuhren von der Existenz der Priester erst, als sie mit den Weißen aus dem Osten kamen. Beim siebenundfünfzigsten Haus waren die Menschen erwachsen, und man konnte die Riten abkürzen. So bevölkerten die Zwillinge die Flüsse weiter bis zum siebenundsechzigsten Haus, weit hinten in Richtung Peru, dann kamen sie zum sechsundfünfzigsten zurück, zu dem, wo die Menschen erstmals auf der Erde erschienen waren.
    »Ihr Weißen«, sagte Aynoré, »ihr geht in eure Kirchen und redet eine Stunde lang über euren bescheuerten Gott, wir Indios, wir gehen in den Dschungel und reden
mit
unserem Gott, mit all unseren Göttern, und zwar tagelang …«
    Durch Erfüllung der zeremoniellen Riten erhielt jedes Haus seine Funktion, und jeder konnte endlich die Welt bewohnen wie das Gürteltier seinen Panzer.
    So sprachen unsere Ahnen. Doch die Arbeit des Schöpfers dauerte nicht für immer an, denn es gab drei Katastrophen: zwei Brände und eine Sintflut. Und jedes Mal musste Ngoaman von vorn beginnen. Nach der Sintflut schuf er eine vierte Menschheit, diejenige, zu der wir heute gehören, und erklärte: »Es ist mir zu viel Arbeit, jedes Mal alles neu zu erschaffen. Ab jetzt werde ich die Menschen in Ruhe lassen, sie sind groß genug, um sich selbst zu züchtigen …« Und dies ist die Geschichte des Großen Anfangs, das Entstehen des ersten Stammelns.
    Moéma konnte nicht mehr denken, so viele Farben funkelten in ihrer Nacht. Es hatte den Garten Eden wirklich gegeben, irgendwo zwischen den Wendekreisen und dem Äquator. »Du bist die in Wirbeln wirbelnde Frau, du bist die Frau, die schilt, die Frau, die klingt, die Spinne, der Tukan und der Kolibri …« Sie wusste nicht, ob Aynoré das sagte oder nur dachte, doch als sie auf dem Deck des Jangada miteinander schliefen, in den Gerüchen von Fisch und Salpeter, die bloße Haut vom Sand kribbelnd, und sie sich auf das elastische Zentrum ihrer ineinander verschlungenen Leiber konzentrierte, war ihr, als könnte sie alle Wörter dieser triefenden Sprache begreifen, dieses ununterbrochenen Murmelns, das sie endlich mit den Menschen versöhnte: »
Nitio oatarara, irara. Mamoaùpe, jandaia, saci peirerê?« – Wir haben Zeit, Honigesserin … Woher kommst du, kleiner gelber Papagei, nächtlicher Kobold?
    In demselben Moment, weiter oben, im bläulichen Dämmerlicht der Hütte, beugte Thaïs sich über den Rand der Hängematte, um sich zu erbrechen.

Fortaleza
    Ich bin keine Schlange, aber giftig bin ich doch!
    Zé hatte ihn sehr früh wieder in die Favela gebracht, um dann gleich zu einer dreitägigen Fahrt aufzubrechen. Um sieben Uhr morgens hatte Nelson bereits an der Kreuzung der beiden Avenidas Duque de Caxias und Luciano Carneiro Posten bezogen. Unempfindlich für die Übelkeit erregenden Auspuffgase – im Gegenteil, der von vielen Fahrzeugen verwendete Alkoholtreibstoff auf Zuckerrohrbasis hinterließ in seiner Nase etwas Angenehmes wie nach einer durchzechten Nacht, ein wenig, als hätten sämtliche Bewohner der Stadt sich gestern Abend prächtig betrunken und würden jetzt am Morgen ihre Cachaça durch alle Poren ausschwitzen –, taub für die Kakophonie der Hupen und das Wummern der Motoren, bettelte Nelson mit der lässigen Selbstsicherheit des erfahrenen Profis. Gegen neun Uhr, als der Strom des Berufsverkehrs von dem der Taxis und Lieferwagen abgelöst wurde, wechselte er auf die Strandpromenade zu den Touristen, die so langsam die Nase aus den Hotels streckten. Für sie hegte er gemischte Gefühle: Verachtung wegen der Arroganz der Urlauber, deren einzige Sorge darin bestand, ihr Geld für sinnlose Einkäufe auszugeben, und Mitleid wegen ihrer hellen, von der Sonne misshandelten Haut, sie sahen aus wie Schwerverbrannte mit offenen Wunden. Anders als bei den Leprakranken, in deren Nähe sich niemand traute, wegen instinktiven Widerwillens oder

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