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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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allen Straßen der Stadt flatterte knatternder Seidenstoff von den Fenstern, Tamboure schlugen ernste Rhythmen, & von allen Seiten strömten schillernde Karossen herbei, um sich dem Ehrenzuge anzuschließen. Im Innern dieser Wagen stellten die edelsten Damen der Stadt Roben & Schmuck von unerhörtem Reichtum zur Schau. Ihre Gatten, nicht weniger herausgeputzt, begleiteten sie in betäubendem Hufgetrappel und Gewieher zu Pferde.
    Auf dem Petersplatz verdoppelte sich die Gewalt des Regens, doch Kristina schien es nicht zu bemerken; sie hatte nur Augen für den mächtigen Dom. Der gesamte Zug folgte ihrem Beispiel; der Wind jagte die Hüte davon, der Sturzregen verdarb die kostbaren Stoffe, doch niemand schien davon auch nur Notiz zu nehmen.
    Später dann begab sie sich, immer noch eskortiert, in den Palazzo Farnese, den ihr der Herzog von Parma für ihren gesamten Aufenthalt in Rom zur Verfügung gestellt hatte. Wie zur Ehrung der Großen dieser Welt üblich, war eine zweite, künstliche Fassade vor der eigentlichen errichtet worden. Dies von Kircher ersonnene Werk beeindruckte ebenso durch seinen Prunk als auch durch seine Sinnigkeit. Inspiriert war es in architektonischer Hinsicht durch den Entwurf zu einem »Tempel der Musik« von Robert Fludd & inhaltlich von Giulio Camillos berühmtem »Erinnerungstheater«, derart, dass diese Fassade die Gesamtheit des menschlichen Wissens darstellte. Von Uhrwerken bewegte und von den besten Malern Roms kunstfertig dekorierte große Holzräder kreisten langsam, den Lauf der Planeten, der Sonne & der Gestirne verkörpernd. Sieben weitere Räder, ebenso kostbar mit Emblemen & allegorischen Figuren geschmückt, waren versetzt übereinander angebracht: Auf ihnen traten Prometheus hervor, Merkur, Pasiphae, die Gorgonen, die Höhle des Plato, das von Okeanos den Göttern dargebotene Bankett, die Sephiroth & im Innern ihrer Streben eine große Anzahl von mythologischen Symbolen, die es erlaubten, nach und nach sämtliches Wissen zu erfassen.
    Da die Königin Kristina, von diesem Schauspiel fasziniert, sich nach dessen Schöpfer erkundigte, pries Kardinal Barberini ihr die Qualitäten Kirchers & teilte ihr mit, sie werde bald Gelegenheit haben, ihn kennenzulernen, denn ein Besuch des Collegium Romanum war von langer Hand für den Folgetag vorgesehen. Nebenbei, als wolle er sich über die einfachen Leute mokieren, die diese Zahlen unermüdlich wiederholten, wies er darauf hin, dass diese Enzyklopädie aus Stuck & Holz mehr als eintausendfünfhundert Goldmünzen gekostet habe. Die Malereien stammten von Claude Gelée, genannt Le Lorrain, & von Poussin; zum Bau waren sechstausendsechshundert große Nägel verwandt worden, & vier große Kessel seien zwei Wochen lang ununterbrochen in Betrieb gewesen, allein um die fünfhundert Liter Leim zu produzieren, die vonnöten waren, um die Teile dieser vergänglichen Fassade zusammenzufügen …
    Kristina war voll der Bewunderung und schickte sofort einen Boten, um Kircher eine kostbare Medaille zu überbringen, welche sie großzügigst von ihrem Armband gelöst.

Canoa Quebrada
    Es ist kein Laster, wenn man trinkt.
    Als sie neben Aynoré erwachte, tief in der Hängematte, die er in einem Verschlag bei Dona Zefa mietete, musste Moéma gleich an Thaïs denken. Über dem traurig-vorwurfsvollen Lächeln, das sie vor Augen hatte, explodierten Fetzen ihrer Nacht mit dem Indio, präzise und verfänglich wie pornographische Bilder. Diese Inszenierung ihrer Schuld ärgerte sie. Sie spürte den eisernen Ring um ihre Stirn, den säuerlichen Geruch des Weins auf ihrer feuchten Haut, den wie mit Sägemehl gefüllten Mund … ihr Schuldgefühl war wohl eher auf den gestrigen Alkoholexzess zurückzuführen. In ein, zwei Stunden würde sie diese diffuse, gegenstandslose Scham hinter sich gelassen haben, die ein schwerer Kater mit sich bringt.
    Ins feine Netz seiner Tattoos eingesponnen wie der gefesselte Gulliver, schlief Aynoré tierhaft tief. Sein nackter, bronzefarbener Körper flößte Moéma weniger Zärtlichkeit als Respekt ein, eine an etwas Heiliges, an Verehrung grenzende Wertschätzung. Von all dem, was er gestern erzählt hatte, bewahrte sie nur noch die Erinnerung an etwas wie ein Aufblühen, wie das Wegflattern eines Aras, die rotgoldene Spur eines verlorenen Paradieses.
    »Na, hat’s dich auch erwischt?«, fragte plötzlich eine Stimme über ihr.
    Marlenes eingefallenes Gesicht wirkte überrascht und ein wenig missgünstig.
    »Keine

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