Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
Vom Netzwerk:
zu essen.
    Thaïs, kaum dass sie ihre Gestalten auf der Düne hatte auftauchen sehen, war weggegangen, zum Meer hin.
     
    Als sie bei Marlenes Grüppchen angelangt waren, weit am Strand entlang, hinter dem Landvorsprung, der die Nacktbader vor Blicken schützte, wäre Moéma gern weitergegangen, aber Aynoré zog sich die Hose aus und legte sich dazu, ohne sie auch nur zu fragen.
    »Deus du céu!«
Marlene schlug sich die Hand vor den Mund. »Was hast du mit deinen Haaren gemacht?«
    »Wenn es dir nicht gefällt«, meinte Moéma und zog sich nebenbei aus, »schau einfach woandershin.« Und auf einen der Jungs, der unverhohlen prustete, schoss sie einen Blick ab wie einen Pfeil: »Das ist meine Sache, nicht deine, verstanden?«
    »Jetzt sei nicht eingeschnappt«, meinte Marlene versöhnlich, »ich war eben überrascht. Von mir aus kannst du dir den Kopf kahlrasieren! Aber lass doch mal sehen, dreh dich ein bisschen um …«
    Moéma zögerte kurz, geruhte dann mürrisch, eine halbe Drehung zu vollführen.
    »Super Look! Steht dir total gut, wirklich …«
    Aynoré ruhte im Sand ausgestreckt, mit geschlossenen Augen, reglos. Etwas peinlich berührt, verglich Moéma seinen Penis, der weich gebogen auf seinem Schenkel ruhte, mit denen der anderen. Er war länger als der von Marlene und seinen Freunden. Stolz auf diese Feststellung, legte sie sich neben ihn, im klaren Bewusstsein, dass alle sie beäugten. Sie fühlte sich wohl, so nackt unter diesem Blick. Nebeneinanderliegend mussten sie aussehen wie das erste Paar der Welt; am liebsten wäre sie aus sich herausgetreten, um selbst den Anblick zu genießen. Widerwillig schob sie das Bild ihres Vaters beiseite, der unvermittelt über ihr aufgetaucht war und betrübt den Kopf schüttelnd an seiner Zigarette sog. Ihre Mutter hätte vielleicht Verständnis gehabt, vielleicht auch nicht, jedenfalls hätte sie sich nicht damit begnügt, sie mit diesem verschlafenen Hundeblick zu mustern … Moéma näherte ihren Arm dem Aynorés, bis sie ihn berührte. Als sich die Hand des Indios um ihre schloss, war sie glücklich, fühlte sich im Einklang mit der Welt und mit sich selbst.
    Die Sonne brannte ihr angenehm auf der Haut. Wegen der Hitze kam ihr die Geschichte von den Bränden und der Sintflut in den Sinn, den drei Gründungskatastrophen des Mururucu-Mythos. Aynoré hatte sie ihr als Letztes vorm Einschlafen erzählt, aber die Details vermischten sich ein wenig in ihrer Erinnerung.
    Bis die Luft brannte … dieses Bild hatten die wenigen Überlebenden von Hiroshima wortgleich verwendet, und niemand hatte die notwendige Lehre über den Wahnsinn der Menschen daraus gezogen. Plötzlich war es Moéma zu heiß, um auf dem Sand liegen zu bleiben. Sie sprang auf, verkündete, sie gehe baden, wartete kurz, bis der Schwindel sich verzog, und rannte dann ins Meer.
    Erst vergnügte sie sich eine Weile in den Wellen, dann legte sie sich bäuchlings an den Rand des Wassers, den Kopf zum Strand gewandt. Die Hände unterm Kinn, spürte sie dem regelmäßig wiederkehrenden Prickeln der Gischt in ihrem Nacken nach. Rund dreißig Meter weiter oben hatte sich Aynoré den anderen angeschlossen; unter lauten Rufen und akrobatischen Hechtsprüngen jonglierten sie einen Fußball mit den Füßen. Weit hinter ihnen wirkte die niedrige Klippe, die diesen Teil der Küste säumte – sie bestand aus zusammengebackenem Sand, ebendem, den man schichtweise für die Touristen in Flaschen füllte –, wie ein in verschiedenen Rosatönen marmorierter Wall.
    Roetgen … auf einmal fiel Moéma ein, dass sie mit keinem einzigen Gedanken an ihn gedacht hatte, seit sie Zefas
Forró
verlassen hatte. Er musste irgendwo weit da draußen sein, und es drängte sie, ihm davon zu berichten, was für eine neue Richtung ihr Leben während seines Fortseins eingeschlagen hatte. Sie nahm sich vor, ihn anderntags bei der Rückkehr der Jangadas zu erwarten. Vielleicht konnte sie eine Arbeit über die Mythen der Mururucu schreiben oder sich jedenfalls genug anlesen, bevor sie nach Amazonien aufbrach. Jedenfalls würde sie niemandem von ihrem Entschluss berichten, nicht einmal ihren Eltern. Später vielleicht, wenn sie Kinder hatte, eine kleine Schar am Fluss spielender Mulatten … Sie sah sich selbst reglos am Ufer stehen, in der Pose Iracemas, den Bogen gespannt, den Pfeil auf den Schatten eines unsichtbaren Fischs gerichtet, oder aber, wie sie orakelnd beim Feuer sitzt, die Augen voller Visionen. Die Lebensbedingungen der

Weitere Kostenlose Bücher