Wo Tiger zu Hause sind
man ihr anbot. Die Augen brannten ihr, sie dürstete nach Wasser und nach Licht, schöpfte aber alles, was Brasilien ihr in dieser Nacht bot, in vollen Zügen aus.
Dann brach Soledade wie eine Stoffpuppe zusammen. Ihre Nachbarin bedeutete Loredana, ihr zu helfen, und beide zusammen brachten das Mädchen an den Rand der Piste. Loredana tätschelte ihr die Wangen, diese Ohnmacht bereitete ihr Sorgen, aber bald schien Soledade wieder zu sich zu kommen. Kaum war sie bei Bewusstsein, befragte sie sofort die Umstehenden …
»Exú Caveira!«, strahlte sie Loredana an. »Ich war von Exú Caveira besessen! Ist das nicht großartig!«
»Ich weiß nicht ganz …«, antwortete Loredana, bestürzt von den Verwüstungen, die sie auf Soledades Gesicht gesehen hatte.
Allmählich schien die Situation ihre Vorstellungskraft zu übersteigen; ein Gläubiger nach dem anderen brach im Staub zusammen, hingestreckt vom plötzlichen Rückzug der Geister, die sie bisher gehalten hatten. Schreie waren zu hören, Geröchel, orgasmusgleiches Stöhnen. Loredana schwankte zwischen dem Wunsch, wieder im Hotel zu sein, und der Gewissheit, dass sie, stünde sie jetzt auf, nie wieder den Heimweg finden würde.
Auf ein Zeichen von Mariazinha, die vor ihrem Thron stand, wechselten die Trommler den Rhythmus. Fast gleichzeitig tauchten die letzten Besessenen aus ihrer Trance auf und wurden rasch zu ihren Plätzen gebracht.
»Oxalá, meu pai«
, rezitierte die Priesterin,
»tem pena de mim, tem dó! A volta do mundo é grande, seu poder ainda é maior!«
– Oxalá, mein Vater, hab Mitleid mit mir, hab Erbarmen! Die Welt ist groß, und deine Macht ist noch größer!
Ein Mann stürzte zu ihr, kniete nieder, legte der alten Frau kurz die Stirn auf die Füße und richtete sich wieder auf, um ihre hingehaltene Hand zu ergreifen. Sie umarmten einander rasch rechts, links, dann ließ Mariazinha den Gläubigen einmal unter ihren Armen kreisen, wie bei einer Rock-’n’-Roll-Figur, bevor sie ihn losließ. Der Mann stolperte ein paar Schritte rückwärts, blieb dann benommen stehen, lächelnd. Alle sprangen jetzt auf und vollführten dasselbe Ritual. Sofort danach verfielen die einen wieder in Trance, andere klammerten sich an die Rockschöße der Priesterin, vor Glück und Dankbarkeit weinend.
Trotz Loredanas instinktivem Widerstand zog Soledade sie zum Altar. Als sie vor der Heiligenmutter stand, nickte diese, als gefalle ihr, was sie im Gesicht der jungen Frau las. Sie legte Loredana die Linke in den Nacken und presste ihr den rechten Daumen zwischen die Augenbrauen:
»Was zu tun dir aufgegeben ist, du kannst es nicht fliehen. Was zu tun dir aufgegeben ist, du wirst es für mich tun …«
Dann dasselbe Ritual wie bei allen anderen, und Loredana stand auf einmal unter den bunten Glühbirnen des
Terreiro
, mit offenstehendem Mund, verblüfft von dem Brennen, das sich in ihre Stirn bohrte.
Weiter ging es mit Tänzen, Trance, Gebeten. Der Durst nach
jurema
schien unstillbar, für sie alle stand die Welt kopf an diesem Ort, wo Sinn und Nicht-Sinn ununterscheidbar geworden waren. Und dann war da auf einmal ein Schwarzer in der Mitte des Platzes, der Axogum! Sein Name war schon von allen Gläubigen zu hören gewesen. Er besprühte die Hühner mit Maniokmehl und
dendê
-Öl, brannte Streichhölzer über ihnen ab und zog eine Machete aus dem Futteral.
»So sollen Pest, Lepra und Wundrose vernichtet werden«, rief er mit vom Alkohol rauer Stimme. »Arator, Lepidator, Tentador, Soniator, Ductor, Comestos, Devorator, Seductor! Oh alter Meister! Die Zeit ist gekommen, zu erfüllen, was du mir verheißen hast. Verfluche meinen Feind, wie auch ich ihn verfluche. Zerreibe ihn zu Staub, wie ich diesen getrockneten Kolibri zu Staub zerreibe! All unsere Wünsche mögen erfüllt werden, durch das Feuer der Nacht, durch die Schwärze der toten Hühner, durch die abgeschnittene Gurgel!«
Er köpfte einen der Vögel; eine Frau, diejenige, welche die Opfertiere mitgebracht hatte, sprang hinzu, um die ersten Blutstöße aus der Schlagader direkt am Hals zu trinken. Die Trance kam über sie wie die Wirkung eines Giftes. Die Hühner wanderten von Hand zu Hand, in der Reihenfolge, wie der Axogum sie schlachtete. Jetzt ergoss sich eine Mischung aus Blut und
jurema
in die Kalebassen. Die Trance griff um sich, und auf dem Gelände herrschte eine Art ernster Euphorie, so, wie es manchmal nach einem Leichenschmaus der Fall ist.
Seit einiger Zeit schon schluckte Loredana
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