Wo Tiger zu Hause sind
entsetzt, von instinktiver Dringlichkeit, animalischer Furcht erfüllt. Und dann sank sie halb auf Soledade, halb auf jemand anderen, ohne bis zum Boden zu kommen, den Blick gen Himmel gerichtet. Irgendwelche Hände rissen ihr den Rock weg, ein Körper lastete auf ihr mit strohigem Knistern. Und der Gott penetrierte sie; er verströmte einen Geruch wie von Kirchenkerzen und lockerem Erdreich.
Minuten später kam sie wieder zu sich. Als sie aufstand, sickerte etwas Klebriges, Dickflüssiges zwischen ihren Beinen hinab.
»Er verlässt uns, er verlässt uns …!«, jammerte Soledade immer wieder. »Komm, komm schnell!«
Sie zerrte sie auf die Fläche, wo die Gläubigen die letzten Zuckungen des Gottes umstanden. Mariazinha hatte die
xaxará
wieder an sich genommen und malte seltsame Zeichen über ihm in die Luft:
Er geht zurück, woher er kam,
Nach Luanda,
Nach Luanda,
Er möge die Ernte unserer Gebete mit sich nehmen,
Er möge sie erhören, bevor er wiederkommt!
Endlich lag der Besessene reglos auf dem Rücken, ein Christus ohne Kreuz, ein Derwisch, von seinem Kreiseln fallen gelassen. Man hob ihn leicht an, damit die Heiligenmutter ihn von der Verkleidung befreien konnte. Und unter der Maske kam eine weitere Maske zum Vorschein, die eines Mannes mit baumelndem Kiefer und weißem Blick. Das Gesicht von Alfredo.
Alcântara
In der Wohnung von Nicanor Carneiro.
Gegen drei Uhr früh schrak Gilda aus dem Schlaf und lauschte auf die Geräusche des Hauses. Hatte sie das Baby wimmern gehört? Sie wartete ein wenig in der Hoffnung, es würde wieder einschlafen. Da ertönte ein langgezogener Ton, wie er jemandem entfährt, der ewig die Luft angehalten hat, und sie setzte sich im Bett auf.
»Was ist denn?«, grunzte Nicanor, ohne die Augen zu öffnen.
»Nichts«, sagte Gilda zärtlich. »Schlaf weiter, ich kümmer mich drum …«
Beruhigt ließ Nicanor Carneiro sich wieder in den Schlaf gleiten. Seit Monaten arbeitete er hart und fand keine Erholung. Die Geburt ihres ersten Kindes machte das Ganze nicht gerade besser.
Jetzt vollständig wach, zog Gilda ihr Nachthemd glatt und tapste besorgt ins andere Zimmer hinüber; noch nie hatte Egon so aufgeschrien, er musste krank sein … Sie machte das Licht an, da wurde ihr eine Hand auf den Mund gepresst und erstickte ihren Schrei. Das Gesicht mit einem Nylonstrumpf unkenntlich gemacht, stand ein Mann vor ihr, neben der Wiege, ihr Baby unter dem Arm, ein Rasiermesser in der Hand.
»Sei ja still, du Nutte!«, flüsterte hinter ihr derjenige, der sie gepackt hielt. »Tu, was wir dir sagen, und dir passiert nichts.«
Vor ohnmächtiger Angst flossen ihr die Tränen über die Wangen, die Beine knickten ihr weg. Eine Messerspitze wurde an ihren Hals gedrückt:
»Verstanden? Jetzt ruf deinen Mann. Sag einfach, er soll herkommen, mehr nicht.«
Sie brachte erst keinen Ton über die Lippen. Das Baby lief allmählich violett an, es erstickte vor lauter Schrecken. Der Mann griff eine Brust der jungen Frau und presste sie schmerzhaft:
»Los, du Idiotin, oder ich mach dich alle!«
Carneiro stürzte beim zweiten Schrei seiner Frau herbei. Jetzt stand er da, mit gesträubtem Haar, in seiner Nacktheit noch magerer als sonst, und wirkte, als könne er nicht glauben, was er sah.
»Fertig geschlafen, wir haben’s eilig!«, bellte der maskierte Mann, der seine Frau hielt. »Du hast zehn Sekunden, um den Schrieb da abzuzeichnen.« Er deutete mit dem Kinn auf ein Blatt Papier und einen Stift, die auf dem Tisch lagen. »Du unterschreibst, und wir verduften; du machst Zicken, und wir fangen mit deinem Balg an! Ist ganz einfach.«
»Lasst sie beide in Ruhe«, fauchte Nicanor, die Stimme wutverzerrt, »ich unterschreibe.«
Rasch kritzelte er seinen Namen unter den Kaufvertrag.
»Jetzt lasst sie los!«, verlangte er, indem er vom Tisch zurücktrat. »Lasst sie los! Sofort!«
Der Mann kontrollierte die Unterschrift: Nicanor Carneiro; faltete den Vertrag zusammen und steckte ihn ein.
»Na bitte, war doch gar nicht so schwierig«, meinte er zufrieden. »Hier, da hast du deine Kleine«, und er schubste Gilda ihrem Mann entgegen. »Hat tolle Möpse, mit denen hast du sicher deinen Spaß, Arschloch. Komm, Bruder, leg das Gör hin, wir hauen ab.«
Bleischwere Stille folgte auf diesen Befehl. Alle Augen waren zur Wiege gerichtet; tollpatschig schüttelte der Mann mit dem Rasiermesser den reglosen Leib des Babys, als wollte er es dazu bringen, wieder zu funktionieren.
São Luís, Fazenda
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