Wo Tiger zu Hause sind
do Boi
Morgen steht es in den Zeitungen, Herr Oberst.
»Wirklich, Carlotta«, meinte Moreira und legte die Serviette neben seinen Teller, »du machst dir wegen nichts und wieder nichts Sorgen …«
Sie hatten auf der Terrasse des Patios ihr Frühstück eingenommen. Hinter den noch taufeuchten Bougainvilleen schimmerte rötlich die Sonne. Carlotta hatte die ganze Nacht kaum geschlafen; ihr blass-zerknittertes Gesicht war das einer alten Frau.
»Mauro ist ein großer Junge«, sprach der Gouverneur weiter, »und wenn ich recht verstanden habe, ist er mit ortskundigen Leuten unterwegs. Wahrscheinlich haben sie gefunden, wonach sie suchten, und jetzt den Rest der Welt ein bisschen vergessen. Du weißt doch, wie sie sind … Keine Nachrichten – gute Nachrichten! Falls ihnen etwas zugestoßen wäre – und ich wüsste wirklich nicht, was das sein sollte –, dann wüssten wir es längst …«
Er goss sich den Rest Kaffee ein.
»Vielleicht hast du ja recht.« Carlotta massierte sich die Schläfen. »Jedenfalls hoffe ich das von ganzem Herzen. Aber ich kann mich einfach nicht beruhigen, es ist stärker als ich.«
Am vergangenen Nachmittag hatte die Universität von Brasilia angerufen. Da man von der Expedition so gar nichts hörte, erkundigte sich das Institutssekretariat, ob Mauro in irgendeiner Weise Kontakt zu seinen Eltern aufgenommen habe. In drei Tagen endeten die Semesterferien, und allmählich sei der Rektor etwas besorgt angesichts des Ausbleibens seiner Lehrkräfte. Als Moreira nach Hause kam, versuchte er nach Kräften, seine Frau zu beruhigen, umso unbesorgter, als er hier die sprichwörtliche Zerstreutheit der Professoren am Werk sah. Carlotta schien dankbar für seine Bemühungen. Und so war die Überschreibung der Grundbesitzurkunden vollkommen glatt über die Bühne gegangen. Sie hatte sich sogar für die Schnelligkeit bedankt, mit der er die Dinge geregelt hatte.
»Entschuldige, dass ich dir neulich Abend diese Szene gemacht habe«, hatte sie hinzugefügt. »Mir ist das Geld wirklich völlig egal, es geht mir nur um Mauro, einzig und allein um ihn … verstehst du?«
Freilich verstand er! Der Oberst bedachte sein Spiegelbild mit einem großspurigen Lächeln und klatschte sich englisches Lavendelwasser auf die Wangen. Frau Gräfin Carlotta de Algezul höchstselbst hatte sich bei ihm entschuldigt, und heute wurde der Willys geliefert! Dieser Tag ließ sich ganz hervorragend an.
Als das Telefon klingelte, schrak Carlotta in ihrem Zimmer hoch: Mauro! Mauro war etwas zugestoßen! Doch ihr Mann hatte bereits abgehoben, so dass sie nur stumm und ängstlich mithören konnte.
»Die Sache mit Carneiro ist geregelt, Herr Oberst. Er hat unterschrieben, ich habe den Kaufvertrag hier vor mir …«
»Gut, sehr gut«, meinte Moreira. »Ich wusste, ich kann Ihnen vertrauen, Wagner.«
Enttäuscht wollte Carlotta bereits den Hörer wieder hinlegen, da klang die Stimme am anderen Ende auf einmal ganz kleinlaut:
»Herr Oberst … Wie soll ich sagen … Es ist nicht ganz glatt gelaufen … Es hat einen Unfall gegeben.«
»Wie, nicht ganz glatt gelaufen? Spuck’s aus, Wagner, ich habe in einer halben Stunde einen Termin und bin noch nicht mal angezogen!«
»Das Baby … also, man hat uns erklärt … das Baby ist erstickt, ganz von selbst. Als der Vater das gesehen hat, hat er sich auf einen von meinen Männern gestürzt und ihm die Maske abgerissen … Da sind sie ausgerastet … Morgen steht es in den Zeitungen, Herr Oberst …«
»Willst du sagen, sie sind …«
»Ja.«
Während des langen darauffolgenden Schweigens blickte Moreira dämlich auf seinen Nachttisch, unfähig, seine Gedanken zu sammeln.
»Niemand hat sie gesehen, Herr Oberst, machen Sie sich keine Sorgen … Ich hab alles Nötige veranlasst und sie auf dem Land in Sicherheit gebracht, in meinem
sitio
; kein Mensch kann sie mit mir in Verbindung bringen, und es gibt schon gar keinen Hinweis auf Sie … Herr Oberst? Sind Sie noch dran?«
»Ich sehe dich nachher.« Moreiras Stimme war eiskalt geworden.
Als er etwas später an Carlottas Tür klopfte, um sich zu verabschieden, erhielt er zu seiner Überraschung keine Antwort. Er versuchte es nicht noch einmal und ging.
21 . Kapitel
Kirchers mystische Nacht: Wie er gen Himmel reiste, ohne dabei sein Zimmer zu verlassen. Der Pestwurm & die Geschichte des Grafen Karnice.
H ier werde ich nun ein wunderbares Beispiel für die Allmacht Gottes geben & zeigen, wie sie sich
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