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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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den tugendhaftesten Männern auf unerforschliche Weise offenbart.
    Nachdem mein Meister nun also auf seinem Gebetsschemel niedergekniet war, hub er an, jammernd & abgehackt zu murmeln, als antworte er jemandem und beschreibe – wenn auch unter Mühen – die Bilder, die seinen Geist bestürmten. Ich näherte mich ihm mit dem Ziel, ihm Hilfe zu leisten, doch auch, um zu hören, was Gott der Herr ihm mitzuteilen hatte, & um es späterhin bezeugen zu können. Fieberhaft ergriff Athanasius meine Hand; trotz seiner vergrößerten, feuchten & vernebelten Augen, wie man sie auf Heiligenbildnissen sieht, schien er mich dennoch zu erkennen.
    »Ah, Cosmiel!«, rief er voller Verzückung & am ganzen Leibe zitternd aus. »Wie dankbar bin ich, dass du zu mir herabzusteigen geruhst …«
    »Ich gehorche nur dem Allmächtigen«, antwortete eine Stimme wie aus seinem Bauch; sie klang tief, verzerrt und als tönte sie aus einer blechernen Gurgel.
    Ich war über alle Maßen entsetzt, denn ich hatte einmal einen Besessenen erlebt, durch den Beelzebub in ebendieser Weise sprach. Doch der Name Cosmiel, den ich sogleich erkannte, linderte meine Angst ein wenig: Mein Meister war nicht vom Teufel besessen, sondern von den Engeln, genauer vom edelsten & weisesten Anführer der himmlischen Heerscharen.
    »Bereite dich vor«, fuhr Cosmiel durch Athanasius’ Mund fort, »du bist auserwählt worden & musst dich dieser Gnade würdig erweisen. Jene Reise, als deren Führer Vergil höchstselbst auftrat, war Dantes Phantasie entsprungen, mich hingegen hat Gott der Herr gesandt, um dich weiter in die Erkenntnis des von ihm geschaffenen Universums zu geleiten. Auf nun! Es ist Zeit, in unendliche Weiten zu reisen. Öffne jenes Fenster, Athanasius, & halte dich fest, wo du kannst, während ich meine Flügel entbreite …«
    »Ich höre & gehorche«, antwortete Kircher ernst.
    Er erhob sich & wankte zum Fensterkreuze. Es war, als wollte der Boden jeden Augenblick unter seinen Schritten weichen. Ich fürchtete, er könne sich nach draußen werfen – & hätte er es getan, ich hätte ihn nicht aufgehalten, so gewiss war ich, dass sein Glaube & die Gegenwart des Engels ihn am Sturze hindern und ihn viel besser noch in die Lüfte tragen würden als mich einst jene künstlichen Flügel –, doch spähte er nur in die bestirnte Nacht hinaus, wie erstarrt bei der Vision der Himmel, welche er mit dem gestrengen Cosmiel durchreiste.
    Durch seine wiederholten Ausrufe wurde mir bald klar, dass mein Meister unterdessen auf dem Monde angelangt war. Er beschrieb ihn in allen Einzelheiten, indes er seine Meere & Gebirge überflog & in jedem Augenblicke erneut bestaunte, was er dort sah.
    Nach dem Mond begab Kircher sich zum Planeten Merkur, sodann zur Venus & schließlich auf die Sonne, wo ich ihn bald ersticken zu sehen meinte, so schien er unter der dort herrschenden Hitze zu leiden. Schließlich erreichten sie den Mars, Cosmiel zufolge ein bösartiger Planet, verantwortlich für die Pest & andere Plagen auf Erden, & Jupiter mit seinen Trabanten, endlich auch Saturn mit seinen regenbogenfarbenen Ringen.
    Auf jedem dieser sieben Himmelskörper, welche er besuchte, was noch keine Mensch vor ihm zuvor geleistet, ward Kircher von dem jeweiligen Engel oder Erzengel begrüßt. So konnte er Mal ums Mal die Schriften bestätigen, indem er Michael begegnete und Raphael, Gabriel, Uriel und Raguel, Sariel & Ramiel, die ihn persönlich über den Ort unterrichteten, an welchem er sich jeweils befand.
    Am Firmamente angelangt, mithin im Reiche der Fixsterne, erreichte Kirchers Staunen seinen Höhepunkt. Die Sterne sonder Zahl waren mitnichten an einem himmlischen Kristall befestigt, nein, sie kreisten auf Bahnen, ganz wie die Planeten auch: Aristoteles, der Philosophenfürst, war, was die Natur des achten Himmels anbelangt, einem großartigen Irrtum unterlegen.
    »Ja, Athanasius«, bestätigte sein Führer, der Engel, »ein jeder Stern folgt seiner eigenen Einsicht, deren Zweck es ist, ihn auf seiner Bahn zu halten & so die ewigen & unveränderlichen Gesetze zu wahren. Wie alle Schöpfungen Gottes werden auch Sterne geboren & sterben zu ihrer Zeit. Und wie du siehst, ist das Firmament weder unveränderlich noch fix, noch endlich …«
    Ich zitterte bei der Vorstellung, außer mir könnte ein anderer diese Worte hören. Denn diese liefen ja darauf hinaus, ohne Umschweife die Lehre von der Vielfalt der Welten & der Beweglichkeit der Himmel zu äußern,

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