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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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reinste Elefanten erscheinen, befallen sie im Handumdrehen den menschlichen Leib, zerfressen ihn von innen heraus mit einer Geschwindigkeit, die ihrer Zahl entspricht, & wenn ihr Zerstörungswerk vollbracht ist, wenden sie sich einem neuen Opfer zu, wodurch sich das
Pestiferum virus
wie Schimmel verbreitet & die Arche der Lebenden vernichtet. Sie werden von der Atemluft übertragen & finden Platz im feinsten Stoff … Sogar die Fliegen sind ihre Träger: Sie saugen an Kranken & Leichen, kontaminieren Nahrungsmittel mit ihren Exkrementen & geben so die Krankheit an diejenigen weiter, die davon essen.«
    Gibbs hörte dies mit fieberhafter Begeisterung. Doch eingedenk der Tatsache, dass das Mikroskop uns die Dinge tausendfach vergrößert zeigt, meinte er, dies Instrument solle berufenen Händen vorbehalten bleiben, wie es Kirchers waren, & man müsse diese Kenntnis auf Fürsten, große Männer & Freunde beschränken.
    Nun waren zwar diese Würmchen als Verursacher der Pest erkannt – sie selbst entstanden gewisslich aus der von den Leichen verdorbenen Luft & übertrugen ihre zerstörerische Kraft durch eine Art von Magnetismus, so wie Magneten in gewisser Weise die Metallteile, welche in Kontakt mit ihnen geraten, »infizieren« –, doch ließ nichts auf eine Arznei dagegen hoffen. Folglich war man genötigt, es mit allerlei hergebrachten Rezepten zu versuchen, von denen man nur eines wusste, dass sie nämlich bei dem einen anschlugen, bei dem anderen nicht, was darauf hinauslief, sie als unwirksam zu erkennen. Unter der Anleitung von Gibbs & Kircher setzten wir also Krötengift ein – dem Prinzip folgend, man müsse Übles mit Üblem bekämpfen –, außerdem in gutem Theriak gelösten Saft aus den Wurzeln der Gemeinen Ochsenzunge & der Skabiose sowie manch andere von Galenus & Dioskurides oder auch zeitgenössischeren Gewährsmännern empfohlene Mittel. Doch ach, nichts half, & mehr als einmal sah ich meinen Meister Tränen der Verzweiflung weinen.
    Auf dem Höhepunkt der Epidemie kam Doktor Sinibaldus in unser Spital. Im Bemühen, frühere Verfehlungen gutzumachen, entfaltete er einen bewundernswerten Eifer an den Krankenbetten, & Gott ließ ihm zum Glück das Leben, ihm & all den Seinen.
    Nicht jedem war das beschieden; einen nach dem anderen raffte die Pest auch die Helfer hinfort, so dass drei Viertel der Ärzte, die sich Gibbs anschlossen, das Ende der Epidemie nicht erlebten. Wer sie überstand, hatte nur zu oft den Tod all seiner Lieben zu betrauern. So geschah es auch dem Grafen Karnitz, Arzt am russischen Hofe, den die Umstände in Rom zurückhielten & dessen Vergnügungsreise in Verzweiflung & Trauer endete.
    Sobald die Abriegelung der Stadt verkündet war, vertraute dieser hervorragende Mann Frau & Kind einer befreundeten Familie an & bot sodann unserem Spital seine Dienste an, wo er kühn jeder Gefahr trotzte.
    Am Abend des 15 . August brachte ein von den Freunden gesandter Bote die Nachricht vom Tode seiner Frau. Sie sei binnen weniger Stunden dahingerafft worden, & er solle sich beeilen, wenn er das geliebte Antlitz noch einmal sehen wolle. Da gerade viele Kranke herandrängten & die noch Lebenden wichtiger waren als bereits Verstorbene, nahm es Graf Karnitz trotz seiner Verzweiflung & unseres Zuredens auf sich, nicht sofort zu gehen. Als er dann einige Stunden später das Haus seiner Freunde erreichte, war seine Gattin nicht mehr dort; man hatte zu großen Kosten einen Sarg gefunden – es gab so gut wie keine mehr – & sie auf dem benachbarten Friedhof begraben. Der junge Mann erging sich in Wehklagen, deren Anblick Schmerzen bereitete. Wäre nicht sein kleines Kind gewesen, einziger Trost in seiner Trauer, er hätte sich wohl den Tod gegeben.
    Doch hatte das Unglück ihn bislang nur gestreift … Sein geliebtes Kind zeigte noch in derselben Nacht alle Anzeichen der Erkrankung. Seine Haut bedeckte sich mit hirsekornartigen Pusteln, bald dann brachen in den Leistenbeugen & unter den Achseln schwarze Beulen auf & verursachten ihm furchtbare Schmerzen. Nichts konnte quälender sein als seine Schreie unter den Bissen jener Würmer, die sein Fleisch marterten. Gegen Morgen befielen sie auch sein Gehirn; der kleine Kranke delirierte, & auf seinem Leibe erschienen große blassbraune Flecken. Gegen acht Uhr früh gewährte Gott ihm endlich den Übergang ins Paradies …
    Für einen weiteren Sarg fehlten die Mittel. In seiner Trauer wollte Graf Karnitz keinesfalls dulden,

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