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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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kaum ansehen konnte, Männer und Frauen mit tränenverquollenen Augen – all diese Unglückseligen standen vor den Beichtstühlen Schlange, die an den Außenmauern der Kirche angebracht waren wie Pissoirs auf dem Lande, sie rangelten miteinander, um sich einen Weg zu der Gipsstatue zu bahnen, wurden ohnmächtig vor deren bloßen Füßen mit der abplatzenden Farbe. An Marktständen wurden zu vielfarbigen Bündeln gebundene glückbringende Bänder verkauft, Plaketten, Heiligenbildchen, lauter frommer Plunder, für den die Leute ihre letzten Cruzeiros ausgaben. All das zeugte von einem Exhibitionismus des Unglücks, der die vier irgendwann irritierte.
    Im Zoo von Canindé sahen sie nichts als zwei Gürteltiere, die frenetisch masturbierten, und ein blau angemaltes Schaf. Bevor sie aufbrachen, kauften sie sich noch Lederhüte und die Kurzsäbel der Kuhhirten.
    Der Wagen war angefüllt mit einem Durcheinander an wegen ihrer Ästhetik oder unfreiwilligen Komik ausgesuchten Ex-Votos: kalkweiße Köpfe mit Körnern als Augen oder obendrauf geklebten Büscheln menschlichen Haars, zerquälte halbe Leiber, auf schmächtige Gestelle montierte furunkulöse Hinterbacken … der Chevrolet erinnerte an ein anatomisches Kabinett.
    Auf der Landstraße nach Juazeiro wurden sie von einem Gewitter überrascht, einer derartigen Sintflut, dass Roetgen auf dem Randstreifen anhalten musste. Aus dem Nichts tauchte ein unter dem Sturzregen einhergaloppierender Esel auf, vor Entsetzen kreischend, mit allen vier Hufen in dem roten Matsch ausgleitend, der den Asphalt überzog. Von diesem apokalyptischen Bild beeindruckt, und weil sie all die Armut leid waren, beschlossen sie erleichtert, ein anderes Ziel anzusteuern und einem Vorschlag von Moéma zu folgen:
    »Und wenn wir nach Recife ins Bodell gehen?«, hatte sie gesagt.
    Roetgen wendete und bog gen Südwesten ab, Richtung Pernambuco.

Favela de Pirambú
    Nachts würde er vorüberziehen, zwischen den Sternen.
    »Was hast du damit vor, Kleiner?«
    »Meine Sache. Du leihst ihn mir oder nicht, aber du stellst keine Fragen, ja?«
    Es hatte ihn irritiert, den Onkel Zé. Sein Blick war irgendwie leer geworden, ein Zeichen dafür, dass er etwas vermutete. Doch was? Niemand konnte es erraten, nicht einmal Onkel Zé. Niemand. Wie mit dem Lampião. Man erwartete ihn in Bahia, und er tauchte im Bundesstaat Sergipe auf; man legte ihm in Rio Grande do Norte einen Hinterhalt, und er saß gemütlich zu Hause und ließ sich von den Journalisten des
Diário de Notícias
porträtieren. Er führte sie an der Nase herum, alle. Das wollte er mit dem Alten zwar nicht tun, aber besser, der wusste nichts. Zum Glück hatte er sein Dings mitgebracht … Damit ging es einfach leichter, und das Ergebnis war auch besser. Hatte ein paar Tage gebraucht, die ganze Sache … Wegen der Form vor allem. Die Form war eine Scheißarbeit gewesen, meine Herren! Aber am Ende hatte er einen Dreh gefunden, und die Arbeit war schon seit zwei Tagen getan, als der Alte kam, um mit ihm Eis essen zu gehen. Rosa Mango und Passionsfrucht … Wenn es nach ihm ginge, er bräuchte nichts anderes mehr zu essen! Zé hatte die andere Sache nicht mal mehr erwähnt, so sehr beschäftigte ihn die Vorbereitung des Yemanjá-Festes: In diesem Jahr organisierte er alles für Dadá Cotinha, auf dem
Terreiro
von Mata Oscura. Dadá, wie die Frau von Corisco, nicht wahr? Dem hatten die Arschlöcher mit dem Maschinengewehr ein Bein zerfetzt. Sechshundert Kilometer hinten auf der Ladefläche eines LKW , und das Bein hing nur noch an einer Sehne … Verdammte Scheiße! Das konnte er nicht vergessen. Keinen Mord vergessen, keine Demütigung, da gab es keinen Neubeginn, und alles war verziehen, oh nein! Er hatte aber auch so seine Probleme, der Onkel Zé. Keine allzu großen, nein, neben dem Bein und so war das auch nur Kinderkram, aber er fand einfach keine Mädchen für den Thron von Yemanjá. Corta Braço, Beco de Chinelo, Amaralinha … die anderen
Terreiros
des Viertels hatten ihm die Schönsten schon weggeschnappt. Blieben nur noch die Alten und die Dicken. Nicht zu glauben, sagte der Alte, was es für dicke Plunzen gibt! Und die kommen alle zu mir, eine nach der anderen: Nimm doch mich, Zé, mit Perücke und Rock sieht man gar nicht, dass ich vielleicht ein bisschen füllig bin … Und dann musste man sich mal anhören, was die ihm alles anboten, nur damit er sie nahm … Unvorstellbar! Lieber sterbe ich, sagte er zu ihnen, der Alte, so wie du

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