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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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noch beträchtlich. Stimuliert durch seine Entdeckungen, den Symbolgehalt der Hieroglyphen betreffend & die Vergleiche, welche er zwischen diesen und den chinesischen Schriftzeichen anstellte, dachte er über eine Sprache nach, mittels deren Menschen aller Nationen sich miteinander verständigen könnten, ohne dafür eine andere Sprache lernen zu müssen als die ihre.
    »Siehst du, Caspar«, erklärte er mir eines schönen Morgens, »ein Italiener und ein Deutscher können mit Leichtigkeit auf Latein korrespondieren, denn dies ist die gemeinsame Sprache aller Gebildeten des Okzidents, doch wie viel schwieriger gestaltet es sich für einen Deutschen & einen Syrer, &
a fortiori
für einen Syrer & einen Chinesen. Hier müsste entweder der Syrer Chinesisch lernen oder der Chinese die syrische Sprache oder aber jeder der beiden ein drittes, gemeinsames Idiom. Du wirst gewiss zustimmen, dass diese drei Lösungen eigentlich keine sind, da sie jedes Mal ein langes Studium von Grammatik & entlegenen Schriften voraussetzen. Wie ich bei meinen Chinesisch-Studien mit meinem Freunde Boym feststellen konnte, erlaubt nicht einmal die Kenntnis von zwanzigtausend Schriftzeichen es mir – dank deren ich so gut wie jedes chinesische Schriftstück lesen kann –, mich mit jemandem, der von dort gebürtig ist, mündlich auszutauschen. Dafür bräuchte es überdies Kenntnis & Übung in den Akzenten oder musikalischen Tönen, an denen auch noch die eifrigsten unserer Missionare verzweifeln. Mit Feder & Papier hingegen kann ich mich mit jedem Chinesen hervorragend verständigen. Ein Mann aus Peking und einer aus Kanton, obgleich sie dieselbe chinesische Sprache miteinander gemein haben, sie aber derart verschieden aussprechen, dass sie sich mündlich kaum verständigen können, verstehen sich mit Pinsel und ein wenig Tusche ausgezeichnet.
    Oder aber nehmen wir einen Indio aus Südamerika. Ich zeichne ihm eine auf dem Wasser schwimmende Gondel mit einem Bootsmann darin, was ihm zeigt, dass es sich um eine Art Wasserfahrzeug handeln muss; so weit, so gut. Was aber, wenn ich ihm nun statt eines Gegenstandes eine Idee oder etwas Oberbegriffliches verständlich machen möchte? Was soll ich zeichnen, wenn es mir um »das Göttliche«, »die Wahrheit« oder »die Tiere« geht? Hier, mein lieber Caspar, wird die Sache schon beträchtlich komplizierter. Und das ausgerechnet an einem Punkte, wo höchste Genauigkeit des gegenseitigen Verständnisses unabdingbar ist … Wozu ist eine Sprache nutze, wenn sie nur dazu dient, Gegenstände zu benennen oder zu handhaben & nicht jene Ideen, die in uns die Spur der göttlichen Schöpfung bezeichnen? Von der einfachen Zeichnung müssen wir also zum Symbol übergehen! Wie würdest du, Caspar, einem Tupinambu-Indio klarzumachen versuchen, dass jenes Mysterium, welches in seinem Idiom mit ›Tupang‹ bezeichnet wird, mit dem koinzidiert, was wir als ›Gott‹ oder ›jener, der ist‹ verstehen?«
    Ich überlegte einen Moment, ließ in meinem Geiste sämtliche Symbole Revue passieren, die das Göttliche repräsentieren & jenen Tupinambu aufklären könnten, & entschied mich schließlich für das Kreuz …
    »Bei einem Europäer funktionierte das«, erläuterte Kircher, »aber ein Chinese würde nur denken, du hättest sein Schriftzeichen für die Zahl 10 geschrieben. Der Tupinambu würde wieder etwas anderes sehen, und immer so weiter für sämtliche Völker, die mit dem Symbol des Kreuzes nicht vertraut sind …«
    »Was dann? Muss man dann nicht erneut auf ein Wörterbuch zurückgreifen?«
    »Genau, Caspar, ein Wörterbuch, ganz einfach! Doch nicht irgendeines. Wie immer gebiert das Komplizierte etwas extrem Einfaches; ein Wörterbuch, oder besser zwei in einem. Ich will versuchen, es dir darzulegen.
    Ob ich nun schreibe:
Würdest du, teurer Freund, mir liebenswürdigerweise eines jener Tiere des Nils senden, welche man gewöhnlich ›Krokodil‹ heißt, damit ich es mit Zeit & Muße studieren kann?
oder:
Du schicken Krokodil für Studium?
 – der Empfänger meines Briefes wird mich beide Male gleich verstehen. Dieser Regel folgend, habe ich das Wörterbuch bereinigt, nur all jene Wörter stehen lassen, die man nicht entbehren kann, 1218 an der Zahl, & sie dann in 32  Klassen à 38  Vokabeln unterteilt. Die 32 symbolischen Kategorien werden mit römischen Zahlen bezeichnet, die jeweils 38  Vokabeln mit arabischen. Das Wort ›Freund‹ beispielsweise ist die 5 . Vokabel der Klasse II ,

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