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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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könnten vielleicht in meinem Pintard nachschlagen –
Les Érudits libertins au
XVII . siècle
 –, falls der Titel denn genau so lautet; das Buch steht jedenfalls in der Geschichts-Abteilung. Außerdem habe ich zwei, drei Sachen über den Rationalismus und Galilei, das könnte Ihnen auch von Nutzen sein.«
    »Ich hätte diesen Auftrag nie annehmen dürfen.« Eléazard schüttelte seufzend den Kopf. »Man müsste in Paris oder Rom sein, um dieses Manuskript zu bearbeiten, wie es sich gehört. Ich habe hier nicht ein Hundertstel der nötigen Instrumente.«
    »Ich will Ihnen gern glauben, mein Freund. Aber nehmen wir einmal an, denn alles scheint Sie ja zu diesem Schluss zu führen« – Doktor Euclides lehnte sich vor und stützte die Ellbogen auf die Knie –, »nehmen wir an, Schott oder sogar Kircher hätten das eine oder andere Plagiat begangen … Nehmen wir an, Sie hätten den förmlichen Beweis, den Sie suchen: Sagen Sie ganz ehrlich, was würde das ändern?«
    Diese Frage brachte Eléazard ins Schleudern; er sammelte seine Gedanken und wählte die Worte sorgfältig:
    »Ich hätte dann bewiesen, dass Kircher sich nicht nur in allem geirrt hat – das wäre noch entschuldbar –, sondern dass er ein Tartuffe war, ein Heuchler und Hochstapler, der seine Zeitgenossen willentlich täuschte.«
    »Und so wären Sie selbst auf einem Irrweg … insofern, als Sie nur etwas bestätigen würden, wovon Sie bereits überzeugt waren, also Ihre Hypothese nicht mehr als das behandeln, was sie immer noch wäre, nämlich eine Annahme … Ich verstehe die Gründe nicht so recht, aber ich meine begriffen zu haben, dass Sie diesen armen Jesuiten nicht besonders mögen. Jedes Mal, wenn Sie ihn erwähnen, machen Sie ihm Vorwürfe, die darauf hinauslaufen, dass er kein Newton, Mersenne oder Gassendi war … Warum sollte er jemand anderer sein als er selbst, Athanasius Kircher? Schauen Sie sich mal La Mothe Le Vayer an, nur zum Beispiel: ein Freidenker, ein Skeptiker ganz nach Ihrem Geschmack. Das ist so einer von denen, die ich üble Typen nenne! Zehnmal hat er seine schönen Ideen widerrufen, aus nichts als Macht- und Geldsucht! Newton und Descartes? Suchen Sie nur ein wenig, und Sie werden feststellen, dass diese beiden auch nicht so unanfechtbar sind, wie die Wissenschaftsgeschichte, diese neue
legenda aurea
, es uns glauben machen will. Sobald man sich für etwas oder jemanden interessiert, wird es oder er interessant. Das ist eine Binsenweisheit. Aber auch das Gegenteil trifft zu: Beschließen Sie, dass jemand ein Schuft ist, und er stellt sich als einer heraus, so sicher wie zwei mal zwei vier ist. Die reine Autosuggestion, mein Freund. Die gesamte Geschichte besteht aus nichts als dieser Selbsthypnose angesichts der Tatsachen … Wenn ich Sie mittels einer kleinen Inszenierung davon überzeuge, dass Sie eine verdorbene Auster gegessen haben, werden Sie krank, körperlich krank. Ich weiß nicht, wer Ihnen in den Kopf gesetzt hat, Kircher sei verachtenswert. So ist er es dann auch geworden, und Sie werden an dieser Meinung festhalten, solange Sie nicht den Prozess erkannt haben, der sie dazu brachte, dieses Ergebnis zu somatisieren.«
    »Ich glaube, das geht ein bisschen weit, Doktor …« Es war Eléazard etwas unbehaglich. »Geschichte ist das, was sich einmal wirklich begeben hat. Kircher hat die Hieroglyphen nicht entziffert, aber er hat es glauben machen wollen. Niemand kann das Gegenteil behaupten, ohne sich selbst als ein bisschen spinnert hinzustellen. Die meisten Gelehrten seiner Zeit zweifelten bereits daran, bevor sich das beweisen ließ. Heute ist es eine Tatsache.«
    »Freilich, mein Freund, freilich … Aber warum insistieren Sie so darauf? Doch nur, um Wasser auf eine andere Mühle zu leiten: Sie wollen zeigen, dass Kircher ein Fälscher war. Das grenzt doch schon an Zwang, diese Beharrlichkeit, beweisen zu wollen, dass er seinen Ruf zu Unrecht erwarb. Sie zitierten vorhin Spengler, aber ich kann Ihnen auch etwas bieten: Lesen Sie noch einmal Duby: Der Geschichtsschreiber, so sagt er, ist ein zwanghafter Träumer …«
    »Der unter dem Zwang steht, angesichts der Tatsachen nicht zu träumen, trotz seiner Neigung dazu!«
    »Nein, mein Lieber, unter dem Zwang, angesichts der Tatsachen zu träumen, die Risse zuzugipsen, die Anmut einer Statue wiederherzustellen, deren fehlender Arm einzig und allein in seinem Kopf existiert. Sie träumen sich Kircher mindestens ebenso sehr zurecht, wie er sich selbst

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