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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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schneller wurde, da kam der Zug unter metallischem Lärmen aus dem Dunkel heran. Die Lokomotive spuckte Wolken von Schwarz, ihre beiden gelben Augen spähten auf die Strecke, die Räder fraßen die Gleise und bliesen nach rechts und nach links rötliche Garben, knatternde Funkenfontänen …
    In diesem Augenblick sah Nelson, wie eine Gestalt von der Böschung aufsprang und den Zug angriff. Sie teilte Fußtritte aus, hämmerte mit aller Kraft auf die vorübergleitenden Panzer der Waggons ein, wie wahnsinnig riss sie sich an dieser ungerührten Masse die Fäuste auf. Jede ihrer Attacken warf sie selbst zurück, sie taumelte, riss die Arme hoch, schrie auf und ging erneut drauflos. Der Zug erhob die Stimme, zweimal, dreimal, mit ohrenbetäubender Wut. Gleich würde er die junge Prinzessin zu Boden schleudern! So schnell er konnte, kroch Nelson auf sie zu und schrie, sie solle zurückweichen.
    Als inmitten des den Horizont zermalmenden Höllenlärms diese albtraumhafte Missgeburt auftauchte, erlebte Moéma einen Augenblick reiner Panik. Sie wollte fliehen, stattdessen brach sie zusammen, besiegt, vernichtet.
    Nelson wollte seinen Augen nicht trauen; seine Prinzessin schluchzte, rief jämmerlich nach ihrer Mutter, zusammengekauert, die Hände zwischen die Beine gepresst. Abgesehen von ihrem T-Shirt, das auf ganzer Länge aufgerissen war und nur noch durch den Kragensaum zusammenhielt, war sie nackt, vollkommen nackt, über und über mit Blut und schwarzer Schmiere befleckt, im Gesicht, auf dem Bauch … Große auberginenfarbene Blutergüsse verunstalteten ihre Brüste.
    Ohne sie zu berühren, legte Nelson sich neben sie, sprach lange auf sie ein, nur damit sie den Klang seines Mitgefühls hörte und sich nach und nach beruhigte:
    »Nicht weinen, schschhhh …, alles wird gut, du wirst schon sehen … Ich heiße Nelson, ich bin so geboren, mit den schiefen Mauken … Keine Angst mehr, ich kann dir sowieso nichts tun. Welcher Schweinehund war das? Ich treib ihn auf, das versprech ich dir, das kriegt er heimgezahlt … Hier, nimm mein Hemd, zieh dir was an, Prinzessin. Komm mit zu mir, da kannst du bis morgen bleiben … Komm schon, du kannst doch nicht hier so liegen … Ich geb dem Onkel Zé bescheid, der kümmert sich um alles, versprochen … Komm schon mit, bitte … Ich erzähl dir Geschichten, ich kenne jede Menge …
Der tapfere Hans und die Prinzessin des Königreichs-das-niemand-betritt; Schneewittchen und der Soldat der Ehrenlegion; Die Geschichte vom geheimnisvollen Pfau …
«
    Er rückte einige Meter ab, als Aufforderung, ihm zu folgen, kam dann zurück, stotterte die Titel sämtlicher
Cordels
herunter, die er kannte, wollte ihren Schmerz mit deren leuchtenden Versprechungen lindern:
Die Göttin des Maranhão; Die Geschichte von den sieben Städten und dem Zauberkönig; Mariana und der Schiffskapitän; Ronaldo und Susana auf dem Flusse Miramar; Die Leiden der Fee Alzira; Rachel und der Drachen; Das unwahrscheinliche Schicksal von Prinzessin Eliza; Die Geschichte von Feuerlied und seinem Testament; Die Gräfin von Sodom; Rose von Mailand und Prinzessin Christina; João Mimoso und das verfluchte Schloss; Prinz Oscar und die Wasserkönigin; Lindalva und Juracy, der Indio …

26 . Kapitel
    In welchem Johann Grueber weiter über die chinesischen Arzneien berichtet.
    A ngewiderte Rufe und Grimassen rings um den Tisch. Bernini schwor bei allen Heiligen, dass er niemals nach China reisen würde, aus Furcht, dort eine Krankheit zu bekommen und an Ort und Stelle behandelt werden zu müssen. Kircher schüttelte den Kopf und rief Galenus & Dioskurides an; & ich schließlich flehte zu Gott, dieser wunderbare Abend möge nie ein Ende haben, so viel Glück empfand ich bei dieser Unterhaltung.
    »Kling, klang, klong!«, hörte ich mich mit einiger Überraschung selbst ausrufen. »Ich trinke auf das flüssige Exkrement & die Wundertaten des Leibesflusses!«
    »Kling, klang, klong!«, wiederholten meine Tischgenossen und leerten das Glas.
    »Nun möchte ich vorschlagen«, fuhr Pater Grueber fort, »uns den Knochenkrankheiten zuzuwenden. Ein wenig konzentrierter Urin, einem dreijährigen Mädchen abgezapft, behebt sie im Handumdrehen. Diabetes? Man lasse den Patienten eine volle Tasse derselben Flüssigkeit zu sich nehmen, diesmal jedoch aus einer öffentlichen Latrine geschöpft. Blutverlust? Idem, allerdings in der Menge von fünfmal einem Viertelliter. Ein toter Fötus, der abgetrieben werden muss? Zwei

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