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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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als ob nichts wäre, den Asphalt besäen, bis zu dem Tag, da die jungen Keime die Stadt mit der Macht einer Naturkatastrophe zerbersten ließen … Unzählige vor Saft strotzende Triebe in den Beton der Metropolen zwängen … Die Kluft zwischen den Steinen, den Leuten, diese Leere zwischen den Knochen, die es dem Großen Metzger erlaubt, das Tier zu zerteilen, ohne die Klinge seines Messers abzunutzen. In den Zwischenräumen, das Heil … Und Schluss, bei Jesus!, mit dem Multikulti-Dummgeschwätz des Okzidents … Die Unberührtheit des Dschungels wiederherstellen an diesen vom pestilenziellen Kreuz der Jesuiten und der Conquistadores beschmutzten Küsten … Was hatten sie nur aus dieser neuen, unwahrscheinlichen, undenkbaren Welt gemacht! Als hätten sie bei der Ankunft im Garten Eden auf den Rasen geschissen …
    Eine fette Ratte huschte nicht rechtzeitig beiseite, Moéma tat so, als wollte sie auf sie drauftreten, wie sonst mit Tauben, in der Gewissheit, dass sie doch noch rechtzeitig davonfliegen. Doch ihr Fuß traf das Tier im Nacken; sie musste mit ansehen, wie es an Ort und Stelle unter widerwärtigen Zuckungen der Pfoten starb. Auch die Kokospalmen wanden sich in reptilienhaften Konvulsionen. Benommen von den mit verstärkter Wucht wiederkehrenden Halluzinationen, legte sie sich kurz auf den Bürgersteig, amüsiert von der Vorstellung, hier in der Gosse gefunden zu werden. Dann stand sie auf und setzte ihren Gewaltmarsch zum Nordende der Straße fort.
    Aus der Stadt hinauskommen, in den Dschungel der Favelas … Aynoré hatte gesagt, er gehe öfter ins
Terra e Mar
, bis dahin wollte sie. Ein Ziel, so gut wie ein anderes, ein Lebensgrund, fast besser als andere. Aynoré wiederfinden, mit diesem schönen Indio schlafen, der so natürlich war in der Ausübung seiner Freiheit, ihren Traum da wiederaufnehmen, wo sie ihn verlassen hatte.
    Ihr war, als wäre sie seit Stunden unterwegs. Schmale, von Häuschen und leeren Grundstücken gesäumte Straßen. Sand und Staub statt Asphalt, jede Menge Hütten, ungeordnet inmitten des Abfalls. Die Ratten wurden aufdringlich.
    »Das hier ist kein Ort für dich, Schneewittchen …«
    »Was geht’s dich an? Sag mir, wo das
Terra e Mar
ist, hier, du kriegst mein Feuerzeug, ist ganz neu.«
    »Die Kippen dazu hast du nicht, Schöne? … Okay. Den Gleisen nach, und dann links vom Signal. Einem grünen Signal, wirst schon sehen, manchmal ist es auch rot, wenn ihm danach ist.«
    Gezanke streunender Katzen, Dünste aus Abflüssen und von gestrandetem Fisch. Unter offenem Himmel eingemauert. Ich lebe, dachte sie, an einem verfluchten Ort, den Wolken von Heuschrecken mit ihrem Stieben verdunkeln. Kalter Schweiß klebte ihr das T-Shirt an die Haut … Von welchem unterirdischen, noch schwärzeren Ort kam diese Verzweiflung her? Thaïs war ihr zu schnell fremd geworden, gegenüber ihrer beider Geschichte … Sie sah sich selbst ein Glas an die Lippen führen und es mit den Zähnen zersplittern, wie wenn man in ein halbes Schokoladenei beißt. Die Scherbe bildete eine Art funkelnden Dolch. Thaïs, nackt unter ihrem Seidenkleid, ein Splitter Perlmutt zierte ihre Stirn … Entsprungene Adler humpelten ungeschickt hinter ihrem Schatten her.
    Ein im Wind treibendes Stück Papier klebte sich ihr an den Knöchel. Instinktiv hob sie es auf. Ein Wahlkampf-Flugblatt … Im hellen Mondschein, der die Favela in blaues Licht tauchte, tanzten die Buchstaben vor ihren Augen:
    DER CÉARÁ BRAUCHT
    ALS ABGEORDNETEN
    DES PARTIDO DO MOVIMENTO DEMOCRÁTICO BRASILEIRO
     
    – EINEN BEWAFFNETEN EINBRECHER
    ( SEARS -Kaufhaus, Rio de Janeiro)
     
    – EINEN TERRORISTEN
    (Flughafen Guarapes, PE )
     
    – EINEN LUFTPIRATEN
    (Flugzeug der Cruzeiro do Sul nach Kuba)
     
    ANGELO SISOES RIBEIRA
    Es war wie ein Brief aus der Hölle. Ein Tapetenmuster lief über das Blatt, Hämmer und Sicheln, rot umrandet. Die Sicherheit, dass dieser Mann nicht log, nie gelogen hatte. Er trug seine Taten vor aller Welt zur Schau wie Ehrenzeichen … Sie faltete das Blatt und steckte es sich lächelnd in die Hintertasche ihrer Shorts. Noch gab es Hoffnung für dieses Land.
    Und auf einmal sah sie, wer da aus dem
Terra e Mar
kam, ziemlich betrunken, mit einer Gang Freunde. Drei von ihnen näherten sich ihr sofort, als sie sie sahen; sie hatten die Muskeln und geschmeidigen Bewegungen von Capoeira-Tänzern.
    »Schau mal an, was läuft uns da über den Weg … Eine Süße, die noch ’nen Mann sucht …«
    »Und

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