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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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Lippen:
    »Die Entscheidung für ein Tier treffen wir später … Übrigens ist es weniger wichtig, dass es der Lehre der Hieroglyphen entspricht, als derjenigen der Kirche & ihres Stellvertreters auf Erden, des Heiligen Vaters. Damit Ihr alle für Euer Studium nötigen Elemente kennt, will ich Euch eine Übersetzung geben.«
    Athanasius nahm ein Blatt Papier von seinem Tisch, räusperte sich und las feierlich.
    »
Mophta, der höchste Geist & Archetyp, ergießt seine Tugenden in die Seele der Sternenwelt, also ist dieser Geist der Sonne ihm unterworfen. Woher die Lebensregung in der materiellen oder elementaren Welt stammt; & woher die Fülle aller Dinge sowie die Vielfalt der Arten kommen.
    Aus der Fruchtbarkeit des Osirischen Schlammes fließt er ohne Unterlass, angezogen von einer wundersamen Sympathie & gestärkt durch die in seiner zweigesichtigen Person verborgenen Macht.
    Oh hellsichtiger Chenosiris, Hüter der heilgen Kanäle, der Symbole der wässrigen Natur, aus der das Leben eines jeglichen Dings besteht!
    Dank des Wohlwollens des Ophionus, jenes für das Erlangen der Wohltaten & der Verbreitung des Lebens, der Prinzipien, denen diese Inschrift gewidmet ist, zuständigen guten Geistes, & mit Hilfe des feuchten Agathodämons des göttlichen Osiris werden die sieben Türme des Himmels vor jeglichem Schaden bewahrt. Darum soll das Abbild desselben bei den Opfern & Zeremonien im Kreise hergezeigt werden.
    Die linke Hand der Natur oder Quelle der Hekate, also jenes Kreisen, das der Atem des Universums ist, wird durch die Opfer beschworen & angezogen durch dasjenige, worin der Dämon Polymorph die großzügige Vielfalt der Dinge in der viergeteilten Welt hervorbringt.
    Die heimtückischen Werke Typhons sind zerbrochen, & so wird das Leben der unschuldigen Dinge bewahrt, dorthin führen die oben gezeigten Pentagramme & Amulette dank der mystischen Grundlagen, auf denen sie errichtet sind. Daher sind sie mächtig, alle guten Dinge von einem zaubrischen Leben zu erhalten …
«
    »Grundgütiger Himmel!«, entfuhr es Bernini. »Hättet Ihr irokesisch gesprochen, so hätte ich nicht weniger begriffen als eben! Eure ägyptischen Priester verstanden sich besser als sonst irgendwer auf verschlungene Worte …«
    »Dafür hatten sie zwei gute Gründe: erstens die Tiefe der Mysterien, die sie ausdrückten; zweitens, dass nicht versehentlich ein solch kostbares Wissen in die Hand Ungelehrter geraten konnte. Schon einfache Künste wie Musik oder Malerei verlangen eine lange Ausbildung; um wie viel länger & härter ist die für die Weisheit nötige. Vergessen wir nicht, dass Pythagoras seine Schüler zum Schweigen anhielt, auf dass sie die heiligen Mysterien nicht verbreiteten, denn man kann nur durch Vertiefung lernen, nicht durch Reden.«
    »Na, gut, dass ich das weiß«, entgegnete Bernini ein wenig gekränkt, »dann begnüge ich mich füglich mit den Künsten & werde nicht weiter versuchen, so kostbare Allegorien zu entziffern …«
    »Gemach, mein Freund … missversteht mich nicht. Das Wissen verlangt nichts denn redliches Bemühen, & Ihr setzt das Eure ganz wunderbar in einem Bereiche ein, den Ihr meisterlich beherrscht. Leider ist das Leben allzu kurz, um sich mehr als einer Kunst voll und ganz widmen zu können. Sokrates war ein jämmerlicher Bildhauer, bevor er Sokrates wurde; Phidias seinerseits, dieser Schöpfer himmlischer Bildwerke, war möglicherweise stumm, danach zu urteilen, was wir über seine Philosophie wissen … Der eine gebar Seelen, der andere Steine, ganz einfach!«
    »Wohl gesprochen«, lachte Bernini, »wie sollte ich nicht überzeugt sein, wenn Ihr mich mit einem solchen Meister vergleicht?«
    »Mich selbst nehme ich davon nicht aus«, fuhr Kircher ebenso ernst fort, »doch sehe ich mich von den Erfordernissen der Analogie behindert, denn ich käme doch arg in Verlegenheit, wollte ich mit Sokrates rivalisieren. Ihr seid unzweifelhaft der größte Bildhauer unseres Jahrhunderts, ich hingegen bin nur ein redlicher Stümper des Wissens. Ich habe nichts anderes zu tun, kann über all meine Zeit verfügen; so kann ich mich lange ohne Unterbrechung auf die Dinge konzentrieren. Das ist mein einziges Talent. Langjährige Erfahrung hat mich gelehrt, wie viel Zeit eine so anspruchsvolle Geistesarbeit erfordert & in welchem Maße der Geist von allen Ablenkungen frei sein muss, um sie zu einem Ergebnis zu führen … Doch bitte, wenden wir uns wieder unserem Obelisken zu. Wie Ihr trotz

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