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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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seine allzu große Gutmütigkeit & Gastfreundschaft ließen ihm dazu keine Muße.
»Kenntet Ihr die beständige Last meiner Obliegenheiten«
, so schrieb er dem Provenzalen Gaffarel als Antwort auf einen Brief, in dem dieser sich über Kirchers mangelnde Korrespondenz beklagte,
»so würdet Ihr mich nicht dieserweise beschuldigen. In diesem Heiligen Jahre kommt ohne Unterlass eine Vielzahl von Besuchern, Würdenträgern & Gelehrten, um mein Museum zu besichtigen. Sie beanspruchen mich derart, dass mir kaum mehr Zeit für meine Studien, ja nicht einmal für meine grundlegenden geistlichen Pflichten bleibt …«
    Mit begreiflicher Freude blickte Athanasius also auf das Kommen des Herbstes & somit die Aussicht, sich nach Montarella zurückzuziehen. Eben als wir erwogen, uns dorthin zu begeben, bot ein unerwartetes Ereignis meinem Meister wieder einmal die Gelegenheit, sich auszuzeichnen …
    Aus Amerika kommend, brachte ein portugiesisches Schiff einen ganz und gar seltsamen Wilden nach Italien. Nicht wegen seiner Hautfarbe, so schwarz wie Kohle – daran waren wir seit ein paar Jahren gewöhnt –, sondern wegen seiner geheimnisvollen Herkunft & Sprache. Dem Bericht des Kapitäns zufolge hatte man diesen Neger auf hoher See vor Guinea angetroffen, wo er halb verhungert in einem Nachen dahintrieb, der aus nichts bestand als einem ausgehöhlten Baumstamm. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, legte dieser Mann einen solchen Undank & so einen Widerwillen an den Tag, die Sprache seiner Retter zu erlernen, dass die Seeleute ihn zur Strafe am liebsten schon wieder ins Meer geworfen hätten. Zu seinem Glück befand sich an Bord ein jesuitischer Gelehrter, Pater Grégoire de Domazan; da er an diesem Neger gewisse Anzeichen von Stolz & Adel erkannte, bewahrte er ihn vor dem sicheren Tode. In Venedig nahm er den Schiffbrüchigen unter seine Fittiche & interessierte sich für seine merkwürdige Sprache: Obgleich dieser Mann sich als fähig erwies, mit einer Geschicklichkeit Arabisch zu schreiben, die jeden Zweifel an seiner Beherrschung dieser Sprache zerstreute, sprach er das Idiom der Heiden jedoch keineswegs, sondern nur ein Kauderwelsch, das niemandem, der es hörte, etwas sagte. Mehr noch, als Pater Grégoire die von diesem Wilden beschriebenen Blätter einigen Gelehrten der orientalischen Sprachen zeigte, stellte sich heraus, dass das Geschriebene keinerlei Sinn besaß …
    Nach allerlei Umständen, deren nähere Erläuterung ich dem Leser hier erspare, wurde also der Neger Chus, wie er aufgrund seiner Hautfarbe genannt worden war, nach Rom verbracht, auf dass Athanasius Kircher ihn untersuche.
    Eines schönen Morgens erschienen also im Collegium Romanum Doktor Alban Gibbs und Friedrich Ulrich Calixtus, Professor in orientalischen Sprachen an der Universität & für diese Gelegenheit von der
Accademia dei Lincei
delegiert, sowie der Neger Chus selbst: Sechs Fuß hoch, von erstaunlich fein & harmonisch geschnittenem Gesicht, marschierte er, die Handgelenke in Eisen gelegt, zwischen zwei Wachen einher, eine Vorsichtsmaßnahme, die nach seinen zahlreichen Versuchen, sich durch Flucht der Neugier ehrbarer Männer zu entziehen, gerechtfertigt erschien. Kircher empfing die Männer in der großen Galerie seines Museums. Seine erste Sorge bestand darin, dem Gefangenen die Fesseln abnehmen zu lassen, trotz der wiederholten Einwände des Herrn Calixtus. Überrascht, aber sichtlich erfreut ob dieser Tatsache, verneigte sich Chus vor meinem Meister; dann wandte er sich hochmütig an Calixtus:
    »
Ko goóga
«, bemerkte er mit tiefer Stimme, »
ò ò maudo no bur mâ ’aldude!
« [18]
    Der Angesprochene wich angesichts der Wildheit dieser Worte zurück, doch beruhigte sich der Neger sogleich wieder. Wie es schien, war er von den Wunderdingen im Museum angetan; er ließ seinen schrecklichen Blick von einem zum anderen wandern.
    Kircher bot ihm mit einer Handbewegung an, Platz zu nehmen, doch Chus lehnte lächelnd ab:
    »Si mi dyôdike, mi dânoto …«
[19] Dann deutete er auf die Bücher in einem der Schränke:
»Miñ mi fota yidi wiñdugol dêfte …«
[20]
    Kircher freute sich sichtlich über dieses Interesse:
    »Libri!«, sagte er auf Latein und wies darauf. »Bücher!«
    »Libi, libi?«, fragte der Neger verwundert.
    »
Li – bri
«, wiederholte mein Meister besonders deutlich.
    »Li-bi-li …
Libilibiru!
« [21] , rief Chus voller Freude, dass er ein so kompliziertes Wort hatte nachsprechen

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