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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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ihrer Nation eigenen Sprache schriftlich niederzulegen. Wären statt der Portugiesen Mohammedaner in Brasilien angelandet, so würden die Topinambus ihre Sprache heute mit arabischen Schriftzeichen verschriftlichen, ganz wie der hier anwesende Neger …«
    Unwillkürlich wandten wir uns Chus zu; ans Fenster gelehnt, schien er sich nicht weiter für uns zu interessieren, sondern den Himmel zu betrachten, betrübt, dort nichts zu sehen denn schwere, bleigraue Wolken, die auf ein Gewitter hindeuteten.
    Kircher nahm die phonetische Mitschrift zur Hand, die ich angefertigt hatte, während Chus seinen Text vorlas. Er studierte das Blatt lange, dann unterstrich er einzelne Wörter, die seine Aufmerksamkeit zu erregen schienen.
    »Sollte etwa …«, murmelte er vor sich hin. »Alles ist möglich … Gott, ich bin in deiner Hand!«
    »Habt ihr womöglich herausgefunden, welche Sprache dieser Mann verwendet?«, fragte Gibbs neugierig.
    »Es mag sein, doch ist das eine derart ungeheure Hypothese, dass ich Euch zunächst darstellen möchte, wie sie sich in meinem Geiste geformt hat. Betrachtet, so bitte ich Euch, die von mir auf diesem Blatt unterstrichenen Wörter: Zerteilt man dieses hier,
bonôru
, so erhält man
bono
 &
ru
, also das Adjektiv ›gut‹ auf Italienisch sowie das hebräische Wort für ›Atem‹ oder ›Geist‹. So bin ich versucht, es mit ›der gute Geist‹ oder besser noch ›der Heilige Geist‹ zu übersetzen …«
    »Mein Gott, Ihr habt recht!« Calixtus war voller Bewunderung. »Diese Sprache scheint mirakulös aus allen anderen gemischt zu sein, & man benötigt Euer einzigartiges & vielgestaltes Wissen, um es so rasch zu bemerken … Doch was schließt Ihr daraus?«
    »Ich schließe daraus auf ihre Ursprünge, mein Herr, oder zumindest vermute ich sie, mit einer Klarheit, die von Sekunde zu Sekunde wächst! Da es ja gänzlich unlogisch wäre, anzunehmen, diese Sprache hätte sich durch den Kontakt zu allen anderen gebildet, denn dann hätte sein Volk ja den gesamten Erdball umrunden müssen, ohne sprechen zu können, muss man im Umkehrschlusse ihre Vorexistenz anerkennen: Sollte es sich etwas um jene Ursprache handeln, aus welcher die Engel die Substanz der fünf Sprachen bezogen, welche den Menschen nach dem Fall des Turms zu Babel gegeben wurden?«
    »Wollt Ihr etwa andeuten, dieser Mann spreche die
Lingua Adamica
?!«
    »Ja, Herr Calixtus, die adamische Sprache selbst, so wie Gott der Herr sie dem ersten Menschen schenkte und sie auf der ganzen Erde gesprochen wurde bis zum Sturz der irren Anmaßungen des Menschengeschlechtes …«
    Ein gräßlich rollender Donner war die Antwort auf Kirchers Äußerung, so prompt, dass wir nicht anders konnten, als darin den Ausdruck göttlicher Bestätigung zu sehen. Immer noch am Fenster stehend, wandte Chus den Blick von dem Regenvorhang, der den Tag verdunkelte:
    »Diyan dan fusude«
, sagte er betrübt,
»doï doï …«
[32]
    Und obgleich es noch nicht einmal drei Uhr nachmittags war, ließ Kircher die Leuchter entzünden.
    »Ich werde mehrwöchiger Arbeit bedürfen, um zu einer Gewissheit zu gelangen, doch kann ich bereits heute versichern, dass die Sprache dieses Mannes, auch wenn sie nicht die Mutter aller anderen sein sollte, doch älter wäre als selbst das Chinesische, die älteste Transformation der Sprache von Ham. Und es würde mich durchaus nicht überraschen, sollten wir später Übereinstimmungen zwischen diesen beiden Sprachen feststellen.«
    Daran, dass mein Meister sich die Hand an die Stirn legte & für einen Moment die Augen schloss, erkannte ich, dass seine – in den letzten Monaten immer häufigeren – Kopfschmerzen ihn wieder befallen hatten. Ich bat also unsere Besucher, ihm etwas Erholung zu gönnen. Doch noch, als er zugab, sehr erschöpft zu sein, & Gibbs & Calixtus um Verständnis bat, wollte Kircher um jeden Preis ein letztes Experiment wagen. Er nahm den zweiten Band des
Œdipus Ægyptiacus
zur Hand & öffnete ihn an einer mit einem weißen Papierstreifen bezeichneten Stelle.
    »Diese sonnenförmige Abbildung«, so sagte er zu Calixtus, »enthält die zweiundsiebenzig Namen Gottes, wie ich sie gemäß den Prinzipien der Kabbala nach der Art und Weise aufgelistet habe, wie zweiundsiebenzig Völker die Gottheit bezeichnen. Dies Rad mag wohl nicht sämtliche Sprachen der Welt beinhalten, so aber doch die wesentlichen Wurzeln, außerhalb deren der Name Gottes nicht ausgedrückt zu werden vermöchte.«
    Dies gesagt,

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