Wo Tiger zu Hause sind
näherte mein Meister sich langsam Chus. Der schien von dem durchaus nicht nachlassenden Gewitter fasziniert, doch als er Kirchers gewahr wurde, wandte er sich ihm zu. Seine weißen Augäpfel funkelten im Dämmerlicht, & seine imponierende Gestalt, welche sich klar vor dem blitzdurchzuckten Himmel abzeichnete, wirkte auf mich wie die eines direkt der Genesis entsprungenen Riesen.
»Ko hondu fâlâ dâ?«
[33] , fragte er streng.
Als Antwort blickte Kircher in das Buch.
»Gott!«, rief er kraftvoll aus und ließ im Folgenden je eine kleine Pause zwischen den Wörtern: »Jahve! Theos! Deus! Dieu! Boog! God! Adad! Zimi! Dio! Amadu! …«
Als der letztgenannte Name ertönte, ereignete sich etwas Unerhörtes: Mit einem Aufschrei, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, riss der Neger Chus die Arme gen Himmel, um sich sodann auf die Knie fallen zu lassen.
»Mi gnâgima, Ahmadu!«
[34] , sprach er und verneigte sich in tiefster Verehrung. »
Kala dyidu gôn yèso hisnoyé. Mi yarnè diyan bégédyi makko, mi hurtinè hümpâwo gillèdyi ha-amadâ!«
[35]
Dann küsste er dreimal den Boden, richtete sich auf und betrachtete meinen Meister, verächtlich den Kopf schüttelnd. Kircher trat wieder zu uns; ein triumphales Lächeln erleuchtete sein von der Müdigkeit verzehrtes Gesicht.
»Amadu oder auch Amida … unter diesem Namen verehren die Japaner den Gott Pussah! Welcher bei den Indern Amitâbha wird & dabei kein anderer ist als der, den die Chinesen als Fo Hi zu ihrem Gott erkoren haben, nicht wissend, dass er dasselbe ist wie Hermes & Osiris. Wenn man sich erinnert, dass China dortselbst heißt
Shen Shou
, nämlich ›das Königreich Gottes‹, wird es deutlich, dass unser Chus eine der nächsten Verkörperungen Jahves oder Jehovas verehrt; & ich würde mich nicht wundern, bald zu erfahren, dass diese beiden heiligen Wörter ihm nicht nur bekannt, sondern noch durchaus wertvoller sind als Amida … Aus diesem Grunde bitte ich Euch, morgen wiederkommen zu wollen, um dieselbe Stunde, wenn es Euch behagt. Ich werde so lange eine vertiefte Untersuchung dieser Sprache anstellen, & mit Gottes Hilfe werden wir neue Wege zu den Ursprüngen aufzeigen können …«
Sobald wir allein waren, zog Athanasius sich in sein Kabinett zurück und nahm die Aufzeichnungen seines Gespräches mit Chus mit. Trotz seiner Blässe funkelten seine Augen, & ich brauchte ihn nicht zu befragen, um zu wissen, welche Hoffnungen er mit den nächsten Begegnungen verknüpfte.
Doch ach, eine unselige Begebenheit machte unsere Erwartungen zunichte …
Fortaleza
Wie in einem alten Film mit verblichenen Farben.
Als sie die Tür zu ihrer Wohnung aufschob, fiel Moéma sofort der Zettel in die Augen, mit dem Thaïs und Roetgen sich in Erinnerung hatten rufen wollen. Sie blickte nur kurz auf die Unterschriften, dann warf sie ihn weg. Ihr Groll beiden gegenüber war umso galliger geworden, als er ihr jetzt schon fast unberechtigt erschien. Sie hatte sie hinter sich gelassen, weit hinter sich, viel zu weit angesichts dessen, was sie in den letzten Tagen erduldet hatte. Sie würde sie nicht wiedersehen.
Als Erstes ließ sie sich ein Bad einlaufen. Dann steckte sie die Kleidungsstücke, die Nelson ihr gekauft hatte, in die Waschmaschine, beschloss aber, sie als Andenken an Pirambú zu behalten: Das »Gloria«-T-Shirt war eine Reliquie geworden, es bezeugte einen Wendepunkt in ihrem Leben. Sie würde dem Jungen etwas Neues kaufen und dann ihren Vater bitten, ihm den Rollstuhl zu besorgen, von dem er so träumte. Das war das Mindeste, was sie zum Dank für all seine Hilfe tun konnte.
Bis zum Kinn im Schaum liegend, träumte sie davon, wie sie mit Nelson das orthopädische Fachgeschäft aufsuchte. Sie würde den Rollstuhl im Voraus bezahlen, um ihm eine Überraschung zu bereiten. Jedenfalls würde sie ihn nicht fallenlassen. Sie würde sich um ihn kümmern. Eléazard sollte sich etwas ausdenken, um ihm einen Job zu besorgen, vielleicht würde er ihn sogar nach Alcântara holen.
Je mehr Moéma sich an diese Bilder vom Glück klammerte, desto mehr wurde sie von den Schatten bedrängt. Vielleicht haben diese Arschlöcher mir was angehängt?, dachte sie vage beunruhigt. Und was, wenn ich schwanger bin? Kurz hatte sie erwogen, die Täter anzuzeigen, doch verwarf sie das sofort wieder, angesichts der Vorstellung von der traumatisierenden Verhandlung und der Tatsache, dass kein Urteil das Gefühl ihrer eigenen Entwertung würde beheben können.
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