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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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der Tiefe ansteigenden Hitze.
    So unterhielten wir uns bis spät in die Nacht hinein. Von meinen Fragen angeregt, sprach Kircher nacheinander über die größten Fragen, welche von der Erdformation aufgeworfen wurden, und er vertraute mir an, dass er mir hier von den Grundlagen eines Buches sprach, welches er im Geheimen plante – denn offiziell war er ja beauftragt, sich der Ägyptologie zu widmen – & das er wohl
Mundus subterraneus
nennen würde. Als wir daran dachten, uns zur Ruhe zu begeben, war es schon vier Uhr morgens; & da wir in aller Frühe den Weg zum Gipfel fortsetzen mussten, beschlossen wir, gleich wach zu bleiben. Das Gespräch wandte sich erneut den Vulkanen zu. Unermüdlich beschwor Athanasius die phantastischen Formen herauf, die das zentrale Feuer bewirken konnte, wenn es durch die Kamine nach oben entwich.
    »Meinen Berechnungen zufolge befand sich Atlantis zwischen der Neuen Welt & Nordafrika. Als die obersten Gipfel begannen, Feuer zu spucken, als der Boden erbebte & versank, Entsetzen & Tod bringend, verschlang der Ozean die gesamten Landmassen. Als er jedoch an die höchsten Vulkane stieg, konnte er deren Glut bändigen & damit das Versinken beenden. Diese wenigen verstreuten Gipfel sind die Inseln, die wir heute als Kanaren & Azoren bezeichnen. Die Gewalt dieser Vulkane, die gewiss zu den größten Kaminen des zentralen Feuers gehörten, war derart groß, dass sie bis heute eine gewisse Aktivität aufweisen: Auf all diesen Inseln herrscht Schwefelgeruch, und nach dem zu urteilen, was mir berichtet wurde, gibt es allerlei kleine Glutherde und Geysire, aus denen kochendes Wasser spritzt. Folglich ist nicht ausgeschlossen, dass eines Tages derselbe Mechanismus, der eine ganze Welt vernichtete, sich umkehrt und sie jäh wieder an die Oberfläche befördert, mit all ihren in Ruinen liegenden Städten & Millionen Gebeinen …«
    Diese Vision mochte zwar nur ein Gedankengebäude sein, doch ließ sie mein Blut eisig erstarren. Kircher war verstummt, das Feuer erstarb im Kamin, & ich schloss die Augen, um in Gedanken das Auftauchen dieses erschröcklichen Friedhofs vom Anbeginn der Zeiten zu verfolgen. Ich sah, wie die alabasternen Paläste langsam den Abgründen entstiegen, die stumpfen Türme, die geborstenen, enthaupteten, auf der Seite liegenden Kolosse, & mir war, als könne ich das grässliche Krachen vernehmen, das diese albtraumhafte Erscheinung begleitete. Doch jäh schwoll dieses Geräusch zu ganz anderen Dimensionen, es ward so wirklich, dass ich mich mit Mühe meinen Gesichten entriss: In dem Moment, da ich die Augen aufschlug, ließ eine schreckliche Explosion die Wände unserer Herberge erbeben & erfüllte den Raum, in dem wir uns befanden, mit rotem Licht.
    »Auf, Caspar, auf! Geschwinde!«, rief Kircher wie verwandelt. »Der Vulkan ist erwacht! Das Zentralfeuer! Geschwinde!«
    Entsetzt aufstehend, sah ich, wie Athanasius zu unserem Gepäck stürzte, während die Explosionen immer rascher aufeinander folgten.
    »Die Instrumente! Die Instrumente!«, rief er mir zu.
    Ich verstand das so, dass er mich anhielt, ihm zu helfen, vor unserer Flucht das kostbare Material zu retten, und half ihm, unsere Dinge zusammenzusammeln, so gut ich es trotz meiner bebenden Knie vermochte. Der Herbergswirt, der uns als Führer hätte dienen sollen, & seine Frau machten nicht so viele Umstände, sie rannten fort, nicht ohne uns zuzurufen, wir sollten uns schnellstens am Fuß des Berges zu ihnen gesellen.
    Bald traten wir hinaus; trotz des nächtlichen Dunkels glühte der Himmel, & man konnte ebenso gut sehen wie am helllichten Tage. Meine Zuversicht wuchs ein wenig, da ich feststellte, dass der Weg, auf dem wir gekommen waren, noch nicht unter der Eruption gelitten hatte. Doch mit welchem Entsetzen musste ich sehen, dass mein Meister die entgegengesetzte Richtung einschlug, direkt auf die glühende Feuersbrunst zu!
    »Hier entlang! Hier entlang!«, schrie ich Kircher zu, im Glauben, er habe sich in seiner Aufregung im Wege geirrt.
    »Schafskopf!«, war seine Antwort. »Dies ist eine unverhoffte Gelegenheit, ein Geschenk des Himmels! Beeil dich schon! Wir können heute mehr lernen als aus allen Büchern zum Thema zusammen …«
    »Aber der Führer!«, rief ich, »wir haben keinen Führer mehr! Wir gehen direkt in den Tod!«
    »Wir haben den besten Führer, den es gibt«, und Kircher wies gen Himmel, »wir sind in seiner Hand. Wenn du Angst hast, steig hinab & suche dir einen anderen

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