Wo Tiger zu Hause sind
pictrix
! Caspar,
Natura pictrix
! Ich bin auf dem rechten Wege, jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Die natürliche Anamorphose ist nur eine der Formen der universellen Analogie! Noch nie war ich dem Ziel so nah …«
Ich hatte Athansius schon zu oft in derlei der Verzückung nahen Zuständen erlebt, um mich über die Maßen zu besorgen, doch war es stets aufs Neue überraschend, einen sonst so gesetzten Mann derart in Aufruhr zu erleben. Als er genug umhergesprungen war, ließ sich mein Meister im Schatten ebendieses Felsens nieder & widmete sich seinen Aufzeichnungen. Ich begnügte mich damit, seine Federn zuzuschneiden, im Wissen, dass er mir früher oder später die Ergebnisse seines Nachdenkens würde zuteilwerden lassen.
Kircher war noch nie so nah an Ägypten gewesen, & er gestand mir sein Bedauern, dass der Großfürst nicht auch in dieses Land wollte, das für das Verständnis des Universums so unentbehrlich war. Oft saß Athanasius viele Stunden lang in Valletta am Meeresufer, die Augen gen Südwesten, zum Nil hin gerichtet, und bereiste in Gedanken diese Städte, die fast so alt waren wie die Welt selbst. Ganze Vormittage lang streifte er durch den Hafen und befragte die aus Afrika zurückkehrenden Seeleute begierig nach allen Informationen und Kuriositäten, die sie zu berichten haben mochten. Doch es kam die Zeit, da wir Malta verlassen & die Rückreise antreten mussten, die so viele Wunder verhieß.
Nach ruhiger Überfahrt gingen wir in Palermo an Land, wo wir im Jesuitenkolleg Unterkunft fanden.
Da Friedrich von Hessen mancherlei offiziellen Verpflichtungen nachkommen musste, hatten wir mehrere Wochen zur freien Verfügung. Doch bevor er wie geplant die Insel bereisen konnte, musste Kircher den Professoren des Collegiums & den örtlichen Magnifizenzen, die bereits von seinem Rufe wussten, seine Talente vorführen. Mehrere Tage beantwortete Athanasius in ebender Bibliothek, in der ich mich itzt befinde, voller Eifer die Fragen seiner Kollegen & entwickelte alle Themen, die ihm vorgelegt wurden. Dank seines wundersamen Gedächtnisses konnte er ohne jede Unterlage die meisten seiner Quellen
in extenso
zitieren oder ungeheuer komplizierte Berechnungen anstellen. Das Gerücht von seinen Vorträgen verbreitete sich in der Stadt, & bald war er genötigt, allerlei hochstehende Personen zu empfangen, die kamen, um einen Mann zu erleben, dessen Gelehrtheit in einem solchen Kontrast zu seiner Jugend und seinem ansprechenden Gesicht stand. Mehrmals wohnte der Fürst von Palagonia, ein großer Freund der Wissenschaften & der Astrologie, diesen Lektionen bei & lud uns schließlich zu einem müßigen Aufenthalt in seinen nahe der Stadt gelegenen Palast ein. Kircher nahm diese freundliche Einladung gern an, wollte ihr jedoch erst gegen Ende unseres Aufenthalts folgen, so sehr drängte es ihn, die Insel näher zu untersuchen. Und so ward es vereinbart.
Endlich kam der Tag, an dem wir beide zum Berge Ätna aufbrachen, was Athanasius um des Gedenken de Peirescs willen als Erstes tun wollte, doch so war es auch sein eigener Wille. Zwar fürchtete ich die sizilianischen Straßenräuber, die allenthalben ihr Unwesen trieben, doch gelangten wir ohne jeden Zwischenfall zur Abtei von Caeta.
In deren Bibliothek unternahmen Kircher und ich selbst ein vollständiges Inventar der Manuskripte. Beglückt fanden wir einige äußert rare Exemplare, so die
Hyeroglyphica
des Horapollon, den
Pimander
, den
Asclepius
oder
Buch des vollkommenen Wortes
, den arabischen Text
Picatrix
, der sich den Talismanen & der weißen Magie widmet, sowie allerlei Papyri, welche Kircher mich kopieren ließ. Das war eine unverhofft reiche Ernte, & heiteren Herzens machten wir uns einige Tage darauf an die Besteigung des Ätna.
Am Abend eines langen Tages der Wanderung erreichten wir eine Behausung, die den Reisenden als Unterkunft diente. Hier fanden wir Nachtquartier & Verpflegung sowie einen Führer für den letzten Teil unserer Expedition.
Nach einem frugalen, aber von einem guten Rotwein aus Selinunt begleiteten Mahl, einem Wein, der von denselben Hügeln stammt, wo allbereits die alten Griechen Rebbau betrieben hatten, ließen wir uns beim Kamin nieder, & Kircher, vom Getränk ein wenig erwärmt, willigte gern ein, mir seine Ansichten zur Geologie auseinanderzusetzen. Wie auch Monsieur Descartes akzeptierte er das Vorhandensein eines zentralen Feuers inmitten der Erdkugel, denn das Zeugnis der Grubenarbeiter sprach von einer mit
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