Wo Tiger zu Hause sind
Laien? Nicht aus Angst vor der Inquisition, sondern schon aus Unvermögen, sich eine Welt ohne Gott überhaupt vorzustellen. Vergiss nicht, ihn trennen noch fast drei Jahrhunderte von Nietzsche und dessen Gottesleugnung.«
»Das sehe ich ja auch so«, Eléazard zuckte mit den Schultern, »aber niemand wird mir ausreden können, dass Descartes, Leibniz und sogar Spinoza sich bereits von Gott befreit hatten und dieser Begriff aus ihrer Feder nur noch zur Füllung einer mathematischen Leere dient. Neben ihnen steht Kircher da wie ein Dinosaurier!«
Loredana schürzte kritisch die Lippen. »Auch das nicht unbedingt. Wie auch immer, ich würde mich über eine Kopie dieser Biographie sehr freuen.«
»Du liest Französisch?«
»Es wird schon reichen …«
»Gar kein Problem, ich habe noch ein Doppel zu meinem Arbeitsexemplar. Aber die Anmerkungen kann ich dir nicht geben, das sind erst Entwürfe. Du kannst bei mir vorbeikommen, zum Beispiel morgen früh. Weit ist es nicht: Praça dou Pelourinho 3 .«
»Gern. Lieber Himmel, was für ein Regen … so was habe ich noch nie gesehen! Ich fühle mich ganz klamm, sehr unangenehm ist das. Hoffentlich hat Alfredo die Pumpe wieder in Gang bekommen, ich sterbe vor Lust auf eine Dusche!«
»Ich weiß nicht, was er macht, aber er scheint Probleme zu haben. Mit der Pumpe oder mit seiner Frau.«
»Oh! hoffentlich nicht«, lächelte Loredana. »Für einen Ehekrach will ich nicht verantwortlich sein …«
Etwas in ihren Mundwinkeln, vielleicht auch nur ein Fünkchen Ironie, das in ihren Augen blitzte, überzeugte Eléazard, dass sie ganz im Gegenteil geschmeichelt war, unwillkürlich Eunices Eifersucht angestachelt zu haben. Diese kokette Anwandlung machte sie auf einmal begehrenswert. Er versenkte seinen Blick in ihren und überraschte sich bei der Vorstellung, sie in den Armen zu haben, dann dabei, dass er verschiedene Strategien erwog, es dazu kommen zu lassen: Ihr vorschlagen, die Kircher-Biographie bereits heute Abend abzuholen; ohne ein Wort ihre Hand nehmen; ihr unverhohlen gestehen, dass er sie begehrte. Jedes dieser Manöver führte zu bruchstückhaften, verschwommenen, unendlich verzweigten Szenarien, um ihn dann, ohne eine Lösung anzubieten, auf den schlichten Umstand seines Begehrens zurückzubringen; das Bild ihrer sich einander nähernden Körper, das dringende, jäh vital werdende Bedürfnis, ihre Haut zu berühren, ihre Haare zu riechen …
»Die Antwort ist nein«, flüsterte Loredana mit einem Hauch Traurigkeit in der Stimme. »Tut mir leid.«
»Was meinst du?«, fragte Eléazard, dem zugleich bewusst wurde, dass sie in seinen Gedanken gelesen hatte wie in einem offenen Buch.
»Das weißt du ganz genau«, schmollte sie freundlich.
Sie hatte den Kopf abgewandt, um in den Regen zu schauen. Ohne offenkundige Nervosität rollte sie mit den Fingern heißes Wachs zu kleinen Kügelchen, die sie dann auf den Tisch legte, mit fernem Blick und der gerunzelten Stirn eines kleinen Mädchens, das sich gegen ungerechte Vorhaltungen zur Wehr setzt.
»Und kann man erfahren, warum?«, fasste Eléazard nach, im versöhnlichen Ton des Besiegten.
»Bitte … Frag nicht weiter. Es geht nicht, das ist alles.«
»Entschuldige«, sagte er da, gerührt von ihrer Ernsthaftigkeit. »Ich … So was kommt bei mir nicht alle Tage vor, weißt du … Also, ich meine … es war mir ernst damit.«
Es rührte sie, dass er so kleinlaut wurde, und um ein Haar hätte sie ihm die Wahrheit gesagt. Es tat so wohl, ihm das Begehren, das er für sie empfand, vom Gesicht abzulesen: Noch vor zwei Jahren hätte sie ihn jetzt bereits in ihr Zimmer geschleift, und wie würden sich lieben, begleitet vom Rauschen des Regens. Wie kam es nur, fragte sie sich, dass ihre Offenheit – und sie wollte diese Erfahrung nicht schon wieder machen – die Leute mehr vor den Kopf stieß, als sie ihr näher zu bringen.
Die Vorstellung, allein im Bett zu liegen, war ihr auf einmal überraschend zuwider. Um nichts auf der Welt sollte er ihrer überdrüssig werden, aufhören zu reden, ihr durch seine Gegenwart zu zeigen, dass es sie noch gab.
»Es wäre zu schnell …« Sie wollte sich selbst eine letzte Chance geben. »Ich brauche Zeit.«
»Ich kann warten«, lächelte Eléazard. »Das ist sogar eines meiner wenigen Talente, abgesehen von einer …« (mit erstauntem Blick nahm er sich einen Tischtennisball aus dem Mund, der dort unvermittelt aufgetaucht war, und steckte ihn in die Tasche)
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