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Wo Tiger zu Hause sind

Wo Tiger zu Hause sind

Titel: Wo Tiger zu Hause sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Marie Blas de Roblès
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werden können, um das, was wir so beharrlich aus obskuren Gründen zerstören, sobald der Keim sich ans Licht traut. Wie soll ich es sagen … Ich kann einfach nicht verstehen, warum wir das Schöne immer als Drohung empfinden und das Glück als Erniedrigung …«
    Der Regen ließ nach, gefolgt von einer Stille, die durch Tropfen und heftiges Rieseln skandiert wurde.
    »Das Schwierigste steht uns noch bevor …«, sagte Loredana mit zusammengekniffenen Augen.
     
    Eléazard stand gegen acht Uhr auf, etwas später als sonst. Auf dem Küchentisch fand er die Thermoskanne mit Kaffee und eine Scheibe Toastbrot neben Kaffeeschale und einem Glas Passionsfruchtsaft. Soledade ließ sich nie vor zehn Uhr blicken; das Fernsehprogramm hielt sie bis weit in die Nacht hinein wach, aber sie sah es als ihre Pflicht an, sein Frühstück zu bereiten und sich wieder hinzulegen. Die Exzesse des Vorabends vernebelten ihm das Hirn, und Eléazard nahm zwei Sprudeltabletten Aspirin. ›Schon eine seltsame Frau‹, dachte er, während er die im Wasserglas wirbelnden Tabletten betrachtete, ›aber sie hat mich ganz schön eingewickelt …‹ Bis zum letzten Augenblick hatte er gehofft, die Nacht mit ihr verbringen zu können, und recht bedacht hatte nur wenig dazu gefehlt: Ganz zum Schluss der
I Ging
-Sitzung hatte es, da war er ganz sicher, einen Augenblick gegeben, wo sie diese Möglichkeit ernsthaft in Betracht zog, doch da war Alfredo, diese Pflaume, aufgetaucht und hatte seinen Sieg über die Pumpe verkündet. Diese Gelegenheit nutzte Loredana und zog sich unter dem Vorwand, endlich könne sie duschen, zurück. ›Sie ist geflohen‹, dachte Eléazard, ohne die Gründe für dieses Verschwinden zu erkennen noch die Frustration darüber wirklich zu überwinden. Etwas später und dank des Aspirins bereute er, seinen libidinösen Anwandlungen unter Alkoholeinfluss nachgegeben zu haben; gequält von der Gewissheit, dass er sich lächerlich gemacht hatte, versuchte er, die Erinnerung an den Abend zu verdrängen. Idiotische Idee, zum Abendessen auszugehen!
    Bevor er sich an den Schreibtisch setzte, schüttete er dem Papagei eine Portion Sonnenblumenkerne in den Fressnapf. Heidegger schien gutgelaunt: Bunt schillernd sträubte er sein Nackengefieder wie ein Drachen. Eléazard nahm einen Kern und hielt ihn dem Vogel hin, auf den er sanft einsprach: »Heidegger, Heidi! Wie geht’s dir heute? Willst du immer noch nicht anständig reden? Komm, hier ist was zu futtern, mein Hübscher …« Der Papagei rückte seitwärts auf seiner Stange auf ihn zu, dann ließ er sich fallen und baumelte kopfüber daran wie eine Fledermaus. »Na, was hältst du von der Welt? Glaubst du wirklich, es gibt noch Hoffnung?« Eléazard näherte sich dem riesigen Schnabel, als der Vogel den Kopf wie von einer Feder getrieben vorschnellen ließ und ihn schmerzhaft in den Zeigefinger biss. »Was soll das, du Mistvieh!«, rief Eléazard. »Du spinnst ja, du blöder Vogel, du spinnst komplett! Pass bloß auf, eines Tages kommst du in die Suppe, verstanden!«
    Er hielt sich den blutenden Finger und lief ins Badezimmer, da tauchte Soledade vor ihm auf.
    »Que passa?«
    »Es ist los, dass der bescheuerte Papagei mich wieder mal gebissen hat! Hier, schau dir das an: Der Finger ist fast ab! Den setz ich im Urwald aus, da wird er sehen, was er davon hat!«
    »Wenn du das machst, geh ich auch«, sagte Soledade todernst. »Du bist selbst schuld, du weißt nicht, wie du ihn nehmen musst. Mit mir macht er so was nie, auf keinen Fall.«
    »Ach ja? Und kannst du mir sagen, was man tun muss, um ihn nicht zu verstimmen? Sich ihm auf Knien nähern? Vor ihm kriechen, wenn man ihm einen Kern geben will? Ich hab wirklich die Schnauze voll von dem Vieh!«
    »Ein Papagei ist kein Tier wie alle anderen … Xangó leuchtet wie die Sonne, in ihm ist Feuer; wenn du ihn nicht respektierst, verbrennt er dich. Ganz einfach.«
    »Du bist ja genauso verrückt wie er …«, sagte Eléazard, der auf diese Argumentation nichts zu entgegnen wusste. »Und warum nennst du ihn immer nur Xangó?«
    »Das ist sein wirklicher Name«, sagte sie verstockt, »er hat es mir gesagt. Komm … Ich geb dir ein Pflaster. So was kann gefährlich werden, weißt du.«
    Eléazard folgte ihr, gerührt von der Naivität der jungen Frau. Brasilien war wirklich eine ganz eigene Welt.
    »Du bist gestern spät nach Hause gekommen«, sagte Soledade und drückte ihm einen mit Alkohol getränkten Wattebausch auf die

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